1. Verliebte Spaghetti - Von Alltagskompetenzen und Selbstwirksamkeit

Richtige Mitarbeit im Haushalt macht Kinder stolz und selbstbewusst (Foto: M.Ihle)

Vor vielen Jahren in Heidelberg: Ein sehr sympathischer, junger Mann hat mich zum Essen in sein Studenten-Dachzimmer eingeladen. Wir plaudern angeregt, auf der Kochplatte köchelt es. Immer wieder einmal rührt der junge Mann im Kochtopf – nach einiger Zeit fragt er: „Jetzt kochen die Spaghetti schon fast eine ganze Stunde und immer noch ist Wasser im Topf: Wie lange muss man Nudeln denn kochen?“

 


30 Jahre später: Meine Söhne machen ihre ersten WG-Erfahrungen. Ich habe viele Jahre des Unterrichtens in einer Berufsschule hinter mir. Meine Söhne erzählen, dass es mit den Haushaltserfahrungen ihrer Mitbewohner_innen nicht besser geworden zu sein scheint. Immer noch so, wie ich es damals erlebt habe. In der Berufsschule erlebe ich immer wieder Schüler_innen, die offensichtlich kaum Kocherfahrungen haben: Bei Selbstversorger-Klassenfahrten ermöglichen wir offensichtlich manchen jungen Erwachsenen beim Küchendienst den Erstkontakt mit dem ungekochten Lebensmittel.

 

So sitze ich jetzt wieder in einem Zimmer fast unter dem Dach in einer Universitätsstadt: Dieses Mal in Gießen im Zimmer von Frau Professor Uta Meier-Gräwe, Haushalts- und Familienwissenschaftlerin. Ja - die Wissenschaft habe es festgestellt, sagt sie, mit den Haushaltskenntnissen junger Männer sei es seit meinen ersten Begegnungen als junge Studentin nicht besser geworden. Im Gegenteil: Die Alltagskompetenzen junger Männer, aber auch die junger Frauen, seien seitdem messbar gesunken. Auf das berufliche Leben vorbereiten – das wollen Kitas, Schulen und Universitäten. Aber all das andere: Sich selbst und eine Familie gesund ernähren, einen Haushalt führen, Geld geschickt einteilen, eine Lampe aufhängen, Reparaturen im Haushalt erledigen - das wird nirgendwo systematisch gelehrt und gelernt. Ob das nicht mindestens genauso wichtig sei im Leben? fragt die lebenserfahrene Professorin. Nicht wenige junge Ehen scheiterten nämlich auch am Ungeübt-Sein im Haushalt und am Stress, der daraus entsteht.

 

Und – fährt Frau Prof. Meier-Gräwe fort – eine andere Folge ist dann doch auch, dass die Kinder nicht gesund ernährt sind und viele Krankheiten alleine dadurch entstehen.

 

„Mama, wir haben das mit dem Kochen und Putzen doch auch irgendwie gelernt. Du solltest vielleicht mal aufschreiben, wie du das gemacht hast“, schlagen mir meine Söhne vor. Ja – mit Mutterstolz – oder Mutterblindheit? – bilde ich mir ein, dass ich meine Jungs diesbezüglich gut aufs Leben vorbereitet habe. Dank guter Freundinnen, Nachbarn und anderer Unterstützer! Durch glückliche Zufälle bin ich immer wieder Menschen begegnet, die keine Scheu hatten, mich – oft genug gegen meinen anfänglichen Widerstand! – darauf hinzuweisen, wie wichtig es sei, die Kinder immer altersgerecht an familiären Aufgaben zu beteiligen.

 

Bevor ich mich ans Aufschreiben gemacht habe, habe ich dann also Schüler und Schülerinnen sowie Kinder und Jugendliche in meinem persönlichem Umfeld bewusst beobachtet, habe vieles gelesen und mit pädagogischen und psychotherapeutischen Fachleuten gesprochen. Inzwischen bin ich überzeugt, dass die regelmäßige Mitarbeit im Haushalt einige wichtige Funktionen beim Heranwachsen hat: Nicht nur, dass die Kinder die Alltagskompetenzen erwerben, die ihnen später einmal das selbständige Leben ermöglichen. Es trägt offensichtlich auch wesentlich zu ihrer psychischen Stabilität bei, wenn Kinder Aufgaben übernehmen, die in ihrem sozialen Umfeld von Bedeutung sind. Diese Erfahrungen von Selbstwirksamkeit helfen, dass sie nicht zuletzt unproblematischer durch die Pubertät kommen. Außerdem entwickeln sie körperliches Geschick, Kreativität und stärken ihre kognitiven Fähigkeiten durch verschiedene Alltagsaufgaben. So dass – ich wage die Behauptung – das sogar häufig positive Auswirkungen auf die schulischen Leistungen hat.

 

Ich werde also hier in der nächsten Zeit – wie meine Söhne mir vorgeschlagen haben – versuchen, Folgendes in kleinen anschaulichen Geschichten aus unserer persönlichen Erfahrung aufzuschreiben:

  •  Wie können berufstätige Eltern es schaffen, ihre Kinder an den alltäglichen Familienaufgaben zu beteiligen?
  • Welche Aufgaben und wie viel Selbstständigkeit sind altersgerecht?
  • Wie lehren wir sie, sich gesund zu ernähren?
  • Wie können wir dabei auch gerade die Söhne miteinbeziehen, damit sie später einmal Partner werden, die in der Bedienung eines Putzgerätes, einer Waschmaschine und eines Kochlöffels genauso fit sind wie in der ihrer elektronischen Geräte?
  • Und vor allem: Warum und wie hilft all das dazu, dass Kinder stark, Eltern entspannt und Familien fröhlich bleiben bzw. werden?

Beate Allmenröder (15. November 2014)

2. Mein Bekehrungserlebnis - Lukas und das Kehricht-Häufchen

Zu Gast bei meiner Freundin Karola und ihren beiden Kindern. Lange ist die Trennung von ihrem Mann noch nicht her. Der 5-jährige Lukas ist schlecht drauf – und meine Freundin scheint mit den Nerven schon ziemlich am Ende.

„Das Kind treibt mich in den Wahnsinn“, stöhnt sie. „Ich soll die kids mithelfen lassen, hat mir die Familientherapeutin gesagt. Wunderbare Idee! Mein Knabe tut aber nicht, was er tun soll!“ „Was soll er denn machen?“ frage ich. „Sollen ist eigentlich der falsche Ausdruck. Er durfte sich ja aussuchen, was er machen will. Gestern war er noch ganz begeistert von der Idee, die Treppe zu fegen.“

„Da war ja richtig viel Dreck!“, zeigt Lukas uns stolz das Kehrblech. (Foto: M.Ihle)

 


„Mensch, dein Kind hat gerade eure Trennung hinter sich. Da musst du ihm auch mal zugestehen, dass es ihm nicht so gut geht.“ Karola schaut gequält: „Ja, wahrscheinlich hast du recht. Dann mache ich es nachher schnell selber. Aber jetzt koche ich uns erst mal einen Kaffee.“ Da hören wir schon wieder Geschrei und Gejammer aus dem Kinderzimmer. Irgendeiner Eingebung folgend ruft Karola genervt – und entsprechend energisch - ihrem Kind dann doch zu: „Kehre jetzt endlich die Treppe! Du hast es dir doch selber ausgesucht! Tu es einfach!“

 

Daraufhin verschwindet Lukas tatsächlich – wenn auch wie ein Rohrspatz schimpfend – mit Kehrblech und Handfeger im Treppenhaus.

 

Dann das Wunder: 20 Minuten später geht die Tür wieder auf, vor sich her trägt Lukas das Kehrblech mit dem Kehricht, strahlt – und erinnert in Nichts an das missgelaunte Kind, als das er zu seiner Arbeit gestartet war. „Da war ja richtig viel Dreck!“ hält er uns stolz seine „Beute“ unter unsere Nasen (die eigentlich gerade am frisch gebrühten Kaffee und den Kuchenstückchen schnuppern wollten). „Schaut mal: Hier die Hundehaare von Frau K’s Hund! Und hier die Erdbröckelchen: Die sind bestimmt von den Schuhen von Frau K. Ich habe es mit den Schuhsohlen verglichen, die vor ihrer Türe stehen. Die Form passt genau!“ So genau wollen wir es eigentlich gar nicht wissen. „Aber ist doch interessant, was Kinderaugen so alles sehen“, sagt meine Freundin Karola, während Lukas den Schmutz zum Mülleimer trägt. „Frau K. tut nämlich immer so, als seien es die Kinder, die den Schmutz im Treppenhaus hinterlassen. Alleinerziehende Nachbarin – auf die kann man’s ja schieben.“ Lukas kommt wieder angesprungen: „Ich habe alles aufgeräumt, darf ich jetzt Kuchen essen? Und dann gehe ich in mein Zimmer zum Lego-Bauen!“ Während er zufrieden seinen Kuchen verspeist, plappert er stolz: „Herr F. hat gesehen, dass ich die Treppe sauber mache. Er hat gestaunt, dass ich das schon kann.“

 

Ein ausgeglichenes Kind verschwindet im Kinderzimmer. Von dort hören wir nur noch fröhliche Spielgeräusche.

 

Wir sind immer noch verblüfft: Diese kleine Aufgabe zu erledigen, hat das Kind wirklich verwandelt. Karola ist jetzt auch ganz entspannt und froh, dass es ihrem Söhnchen offensichtlich viel besser geht. „Weißt Du, wenn ich das nicht durchgesetzt hätte und vielleicht sogar noch selber gefegt: Ich hätte mich die ganze Zeit auch über Lukas geärgert. Und dann wären mir irgendwann heute noch die Nerven durchgegangen. Ich weiß es genau.“ Sie formuliert eine Erfahrung, die ich nur allzu gut kenne.

 

Als ich mich einige Zeit später verabschiede, ist da immer noch ein vergnügt und zufrieden spielendes Kind, das seiner Mutter und mir wunderbar ungestörte Zeit zum Schwätzen gelassen hat. Beim Tschüss-Sagen schaut er vom Lego-Spiel auf: „Wenn du jetzt die Treppe runtergehst, siehst du, wie schön ich sauber gemacht habe. Pass auf, dass du die Treppe nicht wieder schmutzig machst!“

 

Auf dem Heimweg denke ich: So also funktioniert familiäre „Ergotherapie“! Mit seinem stolzen Strahlen über dem Kehrichthäufchen hat Lukas mir diesen Tag zum „Be-kehr-ungserlebnis“ werden lassen“.

 

Diesen „Trick“ habe ich seitdem oft angewandt, wenn es darum ging, meine Kinder aus Stimmungslöchern herauszuholen. Eine befriedigende Arbeit hat sich oft als ein guter Trost erwiesen. Und genervte Auseinandersetzungen zwischen Mutter und Kindern gab es seitdem seltener.

Beate Allmenröder

3. Wer selbst entscheidet, hat mehr Spaß am Arbeiten

Jedes Kind sucht sich seine Aufgaben aus und macht sich den eigenen Wochenplan. (Foto: M.Ihle)

Ich treffe meine Freundin Karola. „Hey, du hast Zeit zum Spazierengehen?“ Sie guckt fröhlich: „Die Kinder arbeiten zu Hause – und ich habe frei.“ Ich staune neidisch. „Wie hast du das denn geschafft?“ „O, das klappt inzwischen ziemlich gut, dass die Kinder ihre Pflichten erfüllen. – Soll ich dir unser Geheimnis verraten?“ Darauf bin ich sehr erpicht. Bei uns ist es nämlich ein ewiger Kampf, die Kinder zu irgendeiner Mithilfe zu bewegen. „Ja, sag schnell: wie schaffst du das? Ich bin nämlich in Eile. Mir hilft zu Hause keiner.“ „Das Zauberwort heißt Pläne. Jedes Kind hat seinen Wochenplan.“


Da staune ich erst Recht. Ich dachte, mit dem Ende der DDR sei die Planwirtschaft vorbei. Von Plänen halte ich irgendwie nicht so viel. Aber Karola ist eine pfiffige Frau und hat mir schon öfter verblüffenden Rat gegeben. So eile ich nach Hause – und setze mich noch am gleichen Tag an den PC.

 

Ich gebe mir Mühe: Eine wunderbare Tabelle, lustige Symbole (meine Kinder können wie Karolas Kinder noch nicht lesen). Dann zeige ich mein Werk stolz der Familie. Die Begeisterung hält sich in Grenzen – und es zeigt sich: die Arbeiten werden nicht erledigt!

Irgendetwas muss ich falsch gemacht haben!

 

Ich schnappe mir also meine wunderbaren Pläne und gehe damit zu Karola: sie schaut sie an und grinst: „Stell dir vor, dir hängt jemand einen solchen Plan vor die Nase: Hättest du Lust, den abzuarbeiten?“ Ich ahne worauf sie hinauswill, versuche aber trotzdem meine schönen Pläne zu verteidigen: „Wenn es doch nur so wenig wäre, wie die Spülmaschine ausräumen und den Müll wegbringen...“ „Siehst Du“, sagt sie, „das ist schon dein dritter Fehler“.

 

Ich frage verwirrt. „Drei Fehler?“ „Komm mit, ich zeig dir mal Lukas‘ und Julchens Pläne“. Am Küchenschrank hängen zwei krakelige Pläne: Auf Jules Plan ist irgendetwas Monströses zu sehen, das ich nicht erkennen kann. Außerdem erahne ich einen Eimer mit Schrubber, Socken, ein T-Shirt und eine Münze. Ich sehe noch irgendetwas Buntes und ein paar Striche. Da kommt Jule auch schon angerannt: „Soll ich dir meinen Plan mal erklären“, fragt die 6-jährige eifrig. „O ja, gerne!“ „Also: Am Samstag backe ich Brötchen“, sie zeigt mit glänzenden Augen auf das braune Monstrum „und mache mit Lukas Frühstück – ganz alleine! Am Sonntag sortiere ich die Socken, am Montag wische ich die Küche und den Flur, am Dienstag bügele ich“ – sie zeigt auf das T-Shirt. „Am – was ist das jetzt für ein Tag?“ stockt sie und zeigt auf das Wort, das wohl Mittwoch heißen soll. Ich helfe ihr. Sie fährt fort: „Am Mittwoch gehe ich einkaufen.“ „Und was machst du am Donnerstag?“ Ich kann nicht erkennen, was da zu sehen ist. „Donnerstag ist doch heute! Riechst du es denn nicht?“, fragt sie entgeistert. Doch: Es duftet verlockend nach Pizza. „Heute habe ich die Pizza gemacht. Ganz alleine den Teig - und dann alles draufgelegt“. Ach ja, das Bunte ist die Pizza! Und die Striche entpuppen sich als Treppengeländer, das sie morgen vom Staub befreien wird. „Das ganze Treppengeländer!“


Da bin ich jetzt ja echt verblüfft! Und schaue Karola fragend an. „Das kann sie schon alles?“ „Ja, klar: sie ist SECHS JAHRE alt!“ Julchen guckt etwas beleidigt: „Klar kann ich das!“ Aber stolz ist sie doch! „Erkennst du deine drei Fehler?“ fragt meine Freundin. „Deine Aufgaben sind zu leicht! Spülmaschine ausräumen und Müll wegbringen – das machen Kinder freiwillig nur so lange, wie sie es noch nicht können. Womit wir beim zweiten Fehler wären: Die Aufgaben haben sich die Kinder nicht selbst ausgesucht. Besprich mit ihnen, was sie machen wollen. Was sie sich selber ausgesucht haben, werden sie lieber machen.“ „Und mein dritter Fehler“, sage ich jetzt selbst, „war, dass ich die Pläne nicht die Kinder habe selber malen lassen.“ Karola nickt.

 

„Bist du auf das alles selber gekommen?“ frage ich staunend. „Nee“, lacht sie, „aber unsere Familientherapeutin ist klug. Ich verrate dir noch einen Tipp von ihr: Lass die Kinder immer mindestens zwischen zwei Aufgaben wählen. Wenn du mal nur eine Sache hast, die unbedingt gemacht werden muss, dann frag sie wenigstens, ob sie es gleich oder später machen wollen.

 

Da höre ich Julchen rufen: „Pizza ist fertig.“

Beate Allmenröder

4. Frische Brötchen - ein ganz irrer Duft

„Morgen backen wir die Brötchen“ ruft mein 4-jähriger. „Und zwar ganz alleine. Du brauchst uns nicht zu helfen.“ Was ist das denn jetzt für ein Einfall?? „Nein, mein kleiner Naseweis, dazu bist du noch zu klein“. „Ich bin kein Naseweis und ich bin auch nicht zu klein.“ „Du kannst doch noch keine Brötchen backen! Du weißt gar nicht, wie das geht. Außerdem ist das gefährlich mit dem heißen Ofen.“ „Doch, ich weiß, wie das geht. Wir haben das mit Lukas und Jule auch alleine gemacht“, erklärt er keck.

 „Morgen backen wir die Brötchen“ ruft mein 4-jähriger.

  (Foto: M.Ihle)


„Wie habt ihr es denn gemacht?“ frage ich und stelle mir vor, dass sie wohl Aufbackbrötchen in den Ofen geschoben haben. Meine beiden durften nämlich in der Nacht zuvor bei meiner Freundin Karola und ihren Kindern übernachten. Mein Zweitgeborener hebt zu einer ausführlichen Erklärung an: „Also, erst einmal haben wir am Abend, Mehl und Hefe und Wasser gemischt.“ Einen Hefeteig haben die Kinder gemacht?? „Und dann haben wir am Morgen noch mehr Mehl reingemacht und dann geknetet und geknetet. Dann haben wir die Brötchen gemacht. Die mussten dann noch laufen. Und dann haben wir sie gebacken.“ Laufen? „Meinst du, die Brötchen mussten gehen?“ „Ja, sage ich doch! 30 Minuten. Jule hat es auf dem Küchenwecker eingestellt.“ „Wie? War Jules Mama nicht dabei?“ „Nein, wir haben das alleine gemacht. Habe ich doch schon gesagt. Karola hat geschlafen. Die ist erst aufgestanden, als das ganze Frühstück fertig war. Wir haben sogar den Kaffee gekocht.“

 

So ganz kann ich nicht glauben, was mir mein Kleiner da erzählt: Ich rufe also meine Freundin an, um die Wahrheit aus Erwachsenen-Mund zu hören. „Das hat dir dein Söhnchen alles völlig korrekt berichtet.“ Ich bin empört: „Du kannst doch die Kinder nicht alleine mit dem heißen Ofen hantieren lassen!“ „Beruhige dich – und höre mir gut zu, wie diese Brötchen funktionieren. Die kann nämlich tatsächlich dein Kleiner auch schon alleine machen. Du wirst begeistert sein und nie wieder andere Frühstücksbrötchen wollen. Nicht nur weil sie so gut schmecken, sondern vor allem, weil du dann an Wochenend-Morgenden ausschlafen kannst.“ „Na, dann erkläre mir mal diese Wunderbrötchen“, bitte ich – sehr skeptisch.

 

„Am Abend verrührt ihr 2 bis 3 Tassen Mehl in einer großen Schüssel mit einem Tütchen Trockenhefe und 2 Teelöffeln Salz und fügt dann soviel Wasser dazu, bis es ein flüssiger Brei ist. Tuch drüber, fertig.“ Sie fährt fort: „Am Morgen rühren die Kinder mit einem Holzlöffel Mehl in den Brei, bis er etwas trockener ist. Dann kneten sie mit den Händen den Teig fertig. Und zum Schluss formen sie die Brötchen und setzen sie auf ein Backblech mit Backpapier. Und jetzt…“ fährt sie fort – „höre mir gut zu: dann schieben die Kinder die Brötchen in den kalten Ofen. Sie stellen den Küchenwecker auf 30 Minuten. Und wenn der Wecker klingelt, stellen sie den Herd auf 180 Grad und den Wecker auf 25 Minuten.“ Sie wartet einen Moment meine Reaktion ab, um dann doch selber weiter zu reden: „Hast du es gemerkt? Sie haben gar nichts mit dem heißen Ofen zu tun – bis die Brötchen fertig sind.“

 

„Gell, wir dürfen morgen Brötchen backen?!“, umspringen mich meine beiden, kaum dass ich den Hörer aufgelegt habe. „Wir haben bei Jule und Lukas genau gesehen, wie man das machen muss. Du musst uns nur noch zeigen, wie viel Kaffeepulver wir in die Kaffeemaschine machen müssen. Dann braucht ihr erst aufzustehen, wenn das Frühstück fertig ist.“

Die Vorstellung, in Ruhe auszuschlafen, ist sehr verlockend. „Na gut.“

 

Am nächsten Morgen hören wir – zwei Stunden später als gewohnt – die ersten lauten Töne: „Frische Brötchen – ein ganz irrer Duft“ singt die Spitzmaus von der Kinder-CD („Schlapps und Schlumbo“ von Reinhard Lakomy/Monika Ehrhardt.) „Was schnuppert so lecker, so herrlich nach Bäcker…“ Und da stehen auch schon vorm Elternbett zwei „Nase-Weiße“: Zwei einigermaßen bemehlte Kinder mit roten Backen und leuchtenden Augen. „Ihr sollt jetzt aufstehen, dass Frühstück ist fertig“, ruft das 4-jährige Mehlmonsterchen „Hört ihr das Lied?! Das passt genau“, kräht das 6-jährige Mehlmonsterchen.

 

Meine Freundin Karola hatte nicht zu viel versprochen: Dieses Brötchen-Rezept ist ein wahres Wunderrezept: die Brötchen köstlich, das Frühstück friedlich, die Kinder glücklich, die Eltern ausgeschlafen. Dafür haben wir Erwachsenen das kleine Küchenchaos, das in der Tat entstanden war, gerne aufgeräumt.

 

(Bemerkung zum Brötchen-Backen: Wenn die Kinder sich das Brötchen-aus-dem-heißen-Ofen-holen noch nicht zutrauen, können es die Erwachsenen machen. Die Backzeit kann je nach Ofen und Brötchengröße etwas variieren. Und: Bevor man die Kinder alleine backen lässt, das Rezept einmal mit den Kindern zusammen ausprobieren. – Für das Rezept braucht man ca. 500 – 800 g (Vollkorn-) Weizen- oder Dinkelmehl, Wasser, ein Tütchen Trockenhefe und 1-2 Teelöffel Salz. Wenn man möchte: Zum Verzieren Sonnenblumenkerne, Sesam, etc.)                              Zum Rezept =>

Beate Allmenröder

5. Das kleine saure Gürkchen - Die Mitarbeit der Kinder ernst nehmen

Unser Blick fällt wieder auf unser kleines, trauriges Gürkchen. (Foto: M.Ihle)

Gut gecoacht von meiner Freundin Karola funktioniert die Mitarbeit meiner Kinder im Haushalt seit ein paar Wochen gut: Die Kinder halten sich an ihre selbst gestalteten Pläne und erledigen ihre selbst gewählten Arbeiten.

Doch schneller als befürchtet kommt der Abend des Tages, an dem weder mein Großer die Milch eingekauft hatte, wie er es sich vorgenommen hatte, noch mein Kleiner unsere geschnitzten, antiken Holzstühle mit seinen kleinen Fingerchen vom Staub befreit hatte.


Gut gecoacht von meiner Freundin Karola funktioniert die Mitarbeit meiner Kinder im Haushalt seit ein paar Wochen gut: Die Kinder halten sich an ihre selbst gestalteten Pläne und erledigen ihre selbst gewählten Arbeiten.

Doch schneller als befürchtet kommt der Abend des Tages, an dem weder mein Großer die Milch eingekauft hatte, wie er es sich vorgenommen hatte, noch mein Kleiner unsere geschnitzten, antiken Holzstühle mit seinen kleinen Fingerchen vom Staub befreit hatte.

 

Für diese Situation hatte mir Karola noch keinen Rat gegeben. Ich selbst hatte in letzter Zeit gespürt, dass ich meine Kinder nicht mehr „schimpfen“ mochte, seit sie so regelmäßig Dinge erledigten, die mir eine echte Entlastung waren. Nicht nur, dass es mich „gut gestimmt“ machte. Es hatte sie selbst auch verändert: sie waren vernünftiger und selbstbewusster und auf eine gute Art „reifer“ geworden. Erst viel später habe ich beim „Erziehungsguru“ Jesper Juul dafür das schöne Wort „Gleichwürdigkeit“ gelesen. Wenn sie so kleine emsige Arbeiter waren und mit Eifer ihre Aufgaben erledigten, dann ließ sich dieses „Gleichwürdigsein“, das Juul im Umgang mit Kindern vorschlägt, richtig spüren.


An diesem Abend allerdings steigt Ärger in mir auf – und ich bin mir sehr bewusst, dass es keine Alternative ist, über ihre Nachlässigkeit einfach hinweg zu gehen. Eine Maßregelung nach dem Prinzip „Wenn ihr nicht, dann…“ kommt aber irgendwie auch nicht in Frage. Guter Rat ist teuer.


Ich schaue mich lustlos in der Küche um, denn beim Familienrat war auf meinem Arbeitsplan für heute „Abendessen machen“ gelandet. Mein Blick fällt auf einen angeknabberten Brötchenrest und auf ein einzelnes, winziges Cornichon, das einsam im trüben Essigwasser schwimmt. Da packt es mich und ich stelle das Gurkenglas auf den Tisch, lege den ärmlichen Brötchenrest daneben und rufe die Kinder zum Essen. Sie setzen sich: „Hey, Mama, was soll denn das?“ „Wenn ihr eure Aufgaben nicht macht, habe ich auch keine Lust.“ Sie schauen mich lange an, sie schauen mich bange an. Wie das Meerschweinchen im Gedicht von Joachim Ringelnatz , das wir gerade gemeinsam auswendig gelernt hatten. Dessen bange Frage war: “Wo ist das Meer?“ Die bange Frage meiner Kinder ist nicht nur: „Wo ist das Essen?“, sondern auch „Wo ist die Mama, auf die man sich verlassen kann?“ Sie spüren: Die Lage ist ernst.


In dem Augenblick kommt uns auf wundersame Weise das Schicksal zu Hilfe: Wir können nämlich durch unser Küchenfenster auf den Esstisch des Nachbarhauses schauen: Dort sitzen Vater und Söhnchen erwartungsvoll am Tisch und die Mutter bringt gerade - ein volles Gurkenglas! Es folgt ein Korb mit Brötchen. Dann bringt sie eine Platte vollgeladen mit Wiener Würstchen herbei. Wir starren indiskret – und hungrig. Dann fällt unser Blick wieder auf unser kleines, trauriges Gürkchen auf dem Boden des trüben Glases – und wir brechen alle in Lachen aus.


Schnell machen wir dann gemeinsam Abendbrot – und danach erledigen die Kinder ihre Pflichten.


Was hatte uns so sehr zum Lachen gebracht? Ich glaube, es war nicht nur die grotesk unterschiedliche Mahlzeit, sondern uns allen wurde klar: Bei uns gibt es keine „Service-Kraft- Mutter“, sondern alle, auch die damals noch relativ kleinen Kinder, werden ernst genommen Das, was sie tun, hat Bedeutung! Das macht sie stolz – und „gleichwürdig“. Ihr Verhalten hatte eine „Konsequenz“ gehabt, aber keine in einem pädagogischen Gefälle: Die Mutter hatte weder geschimpft noch gemaßregelt. So konnte sich die Situation für uns alle im gemeinsamen Lachen auflösen. Wenn uns auch an diesem Abend der Zufall zu Hilfe gekommen war, so hatte doch auch ich etwas Wichtiges gelernt: Konsequenzen, die sich aus dem Verhalten logisch ergeben („wenn ihr eure Arbeit nicht macht, habe ich auch keine Lust“) sind wesentlich weniger demütigend, als zu strafen oder zu schimpfen.


Noch am gleichen Abend forderten die beiden ein, dass wir beim nächsten Familienrat beschließen sollten, wie sichergestellt wird, dass jeder seine Pläne auch einhält.

Beate Allmenröder

6. Bettbezug-Gespensterchen - spielend arbeiten

An einem trüben Wintertag will ich eigentlich nur kurz bei Karola, meiner Freundin, vorbei schauen: als sie mir die Türe öffnet, höre ich Lärm aus dem Kinderzimmer. „Oh, ich glaube, ich störe. Ich komme ein andermal“. „Nein, du störst gar nicht“, zieht sie mich in die Wohnung, „Komm, wir trinken einen Kaffee.“ „Aber ich glaube, deine Kids brauchen dich – hört sich so an.“ „Nein, die beziehen ihre Betten, die sind gut beschäftigt. Sie haben Spaß und brauchen mich gerade gar nicht.“

Nach Betten-Beziehen sieht das nicht gerade aus...

(Foto: M. Ihle)


Während der Kaffee durchläuft, luge ich ins Kinderzimmer: Da ist ein wildes Getobe: Der 6-jährige Lukas und die 7-jährige Jule spielen „Purzelbaum mit Anlauf“. Nach Bettenbeziehen sieht das nicht gerade aus.

 

Wir setzen uns mit unserem Kaffee ins Wohnzimmer und können in der Tat eine ganze Zeitlang ungestört reden. Dann geht auf einmal die Türe auf und zwei „Gespensterchen“ poltern herein. Die Kinder haben sich die großen Bettbezüge über die Köpfe gezogen, sehen nicht allzu viel und stoßen überall an. „Husch, ihr Gespenster, zurück ins Kinderzimmer“, reagiert ihre Mutter schnell. „Ihr sollt mal kommen und schauen, wie gut wir den Rückwärtspurzelbaum können“, nuschelt es durch die Bettbezüge. Na, das wollen wir sehen. Liest man doch jede zweite Woche in der Zeitung von irgendeiner Studie, dass Kinder immer unbeweglicher würden und im Grundschulalter keine Purzelbäume mehr machen könnten. Die Kinder schlüpfen aus den Bezügen und verwandeln sich in geschickte Turnkinder: Wir bekommen nicht nur den Purzelbaum-Gegenbeweis zu sehen, sondern gleich eine ganze Turnvorführung. Weitsprung aus dem Bett heraus, Bauchplatscher-Weitsprung ins Bett hinein… - lauter kleine, selbst erdachte Übungen, die in der Tat einiges Geschick erfordern. „Und jetzt kommt’s erst“, schreit Lukas, „jetzt machen wir das alles noch mal als Gespenst“. Blindturnen sozusagen. Auch das bekommen sie erstaunlich gut hin.

 

Auf dem Weg zurück ins Wohnzimmer frage ich meine Freundin: „Das nennst du Bettenbeziehen? Unter hausfraulichem Aspekt ist das allenfalls Staubaufwirbeln. Die sind ja wohl eh noch ein bisschen zu klein, um ihre Betten zu beziehen.“ „Letztes Mal hat’s geklappt“, sagt sie. Tatsächlich ändert sich auf einmal die Geräusche-Lage, die aus dem Kinderzimmer zu uns dringt. Es ist nicht mehr so viel lustiges Gequietsche zu hören, sondern jetzt streiten sie: „Du musst auch richtig festhalten!“ „Nein, du hast die falsche Ecke genommen.“ So geht es eine Weile hin und her. Dann hören wir kaum noch etwas, bis schließlich - dieses Mal zwei Kinder statt zweier Gespenster - herangestürmt kommen: „Fertig! Betten sind gemacht! Wir haben die Bettwäsche zur Waschmaschine gebracht. Ihr sollt mal schauen.“ Da bin ich jetzt echt gespannt, wie sie das mit ihren kurzen Armen hinbekommen haben: Keine Frage, das sieht nach frisch bezogenen Betten aus. Auch wenn man sicher das Bettdecke-Glattziehen noch perfektionieren könnte. Karola lobt sie ausführlich – und angesichts meines ehrlichen Erstaunens sind sie noch stolzer, dass sie das so gut gemacht haben.

 

Mein kurzer Besuch zieht sich nun doch in die Länge, weil ich zu dieser Aktion noch einige Fragen habe: Nach der Hygiene, nach der Altersgemäßheit und auch die „Staubfrage“ beschäftigt mich noch weiter. Karola antwortet sofort: „Weißt du, das bisschen Staub ist mir ziemlich egal, angesichts der Tatsache, dass meine Kinder heute ihr motorisches Geschick intensiv trainiert haben, dass sie sich an einem solchen Tag, an dem man nicht nach draußen kann, ordentlich ausgetobt haben, dass sie wichtige Schlüsselqualifikationen wie zum Beispiel Teamfähigkeit eingeübt haben, dass sie Kreativität entfaltet haben...“ „Hey, hör auf“ unterbreche ich ihre Aufzählung. „Hast du das auswendig gelernt?“ Jetzt wird Karola auf einmal nachdenklich: „Nee, auswendig nicht gerade. Aber ich habe es mir schon oft überlegt, weil du ja nicht die erste bist, die fragt, ob die Kinder nicht noch zu klein für so eine Arbeit sind. Aber du siehst doch, dass sie es hinbekommen! Dass es ihnen sogar Spaß macht und wie stolz sie sind!“

 

Beim Heimgehen erscheint mir der trübe Wintertag gleich viel heller, als ich mir ausmale, was meine Kinder wohl alles noch so nebenbei lernen werden, wenn ich ihnen auch das Bettenbeziehen beibringe.

Beate Allmenröder

7. Der kleine Junge von Wildersbach - Über Belohnungs- und Durchhaltestrategien

Der Fleißige erhält dann von allen lautstarkes "Lob und Preis!". (Foto: M.Ihle)

„Weißt Du, was meine schönste Erinnerung an unserem Urlaub ist?“ Diese Frage stelle ich nach ein paar Tagen im Elsass meinem Liebsten. „Die Wanderung mit den herrlichen Ausblicken? Unser romantischer Abend im Restaurant? Das Münster in Straßburg...?“, schlägt er vor. „Ja, das war alles schön, aber das allerschönste war der kleine Junge im Hotel in Wildersbach, der uns die Milch beim Frühstück gebracht hat.“


Der Mann an meiner Seite grinst: „Na, das fasse ich jetzt mal als Beleidigung auf“. Tut er aber nicht wirklich, weil er den Buben ja auch gesehen hatte: Das kleine Hotel wird von einer jungen Frau geführt, die ihrem – wir schätzen: 6-jährigen - Sohn an einem Morgen offensichtlich aufgetragen hatte, sich um die Frühstücksgäste zu kümmern. Uns reichte die Kaffeemilch nicht. Wir klopften an der Küchentüre. Der kleine, freundliche Junge streckte seinen Kopf heraus, bemühte sich, mein geradebrechtes Französisch zu verstehen, nickte und verschwand. Kurze Zeit später ging die Tür auf und er trug vorsichtig ein bis an den Rand gefülltes Milchkännchen herein. Dabei lächelte er so rührend scheu, eifrig und stolz, dass mir dieser Gesichtsausdruck auch jetzt noch das Herz erwärmt. Und dann fragte er sehr besorgt und höflich, ob uns denn der Kaffee reiche.


Die Bewältigung einer „echten“ Aufgabe – und das sogar vor fremden Menschen, die zusehen, was das Kind schon kann – das zaubert diesen entzückenden Gesichtsausdruck wohl auf jedes Kindergesicht.


„Die Bewältigung einer Herausforderung trägt eine starke Belohnung in sich – und hat keine von außen nötig.“ Diesen Satz habe ich beim Hirnforscher Gerhard Roth gelesen. Diesem kleinen Jungen musste seine Mutter sicher keine Belohnung für seinen morgendlichen Küchendienst versprechen: Es reichte ihm, sich wie ein „Großer“ zu fühlen, der die fremden Gäste versorgen kann.


Wie war das bei uns, als meine Kinder noch klein waren? Staunende Hotelgäste wie wir in Wildersbach gab es für meine Kinder nicht zu bedienen. Dennoch platzten sie vor Stolz, wenn sie etwas geschafft hatten, was sie sich selber noch gar nicht richtig zugetraut hatten.

Aber was ist, wenn die Arbeit zur Routine wird und keine Herausforderung mehr darstellt? Auch langweilige Alltagsarbeiten müssen ja erledigt werden. Stolz kommt da nicht mehr auf.

Wie kann ich Kinder dazu bewegen, diese immer-wiederkehrenden Aufgaben zu erledigen, die keinem richtig Spaß machen? Die sie sich auf ihre Pläne geschrieben haben, aber zu denen sie beim dritten Mal keine Lust mehr haben?


Ich frage meine Freundin Karola wieder um Rat: „Wie machst Du das, dass sich deine Kinder an ihre Pläne auch halten?“ „Das Prinzip scheinst Du immer noch nicht kapiert zu haben!“ Weil wir uns schon lange kennen, darf sie manchmal so direkt zu mir sein. Ich schaue sie fragend an. „Besprich es mit den Kindern! Sie werden schon Ideen haben. Wenn sie sich das Belohnungssystem selbst ausgedacht haben, wird es auch funktionieren.“ Dann gibt sie mir noch einen Rat ihrer Familientherapeutin weiter: „Fernseh- oder PC-Zeiten und Geld sind keine so gute Belohnung! Gemeinsam verbrachte Zeit mit irgendetwas, was sich die Kinder wünschen, ist viel besser.“ „Was könnte das denn sein?“, frage ich. „Wenn Jule und Lukas am Ende der Woche alles erledigt haben, was sie sich auf ihre Pläne geschrieben haben, dann gehen wir am Sonntag alle zusammen Eis-Essen. Das haben sie sich so gewünscht.“


Meine Kinder einigten sich schnell darauf, dass wir am Ende einer „erfolgreichen“ Woche als Familie einen Spieleabend machen, bei dem sie die Spiele bestimmen konnten.

Die Belohnungszeiträume wurden mit dem Größer-Werden immer länger. Und auch die Vorschläge, wie sie belohnt werden wollten, veränderten sich.


Eines hat sich bis heute bewährt: Auch wenn wir im Alltag keine staunenden Hotelgäste hatten, gab es stolze Gesichter durch unsere Vereinbarung, dass sich die ganze Familie das Ergebnis anschaut, wenn einer seine Arbeit erledigt hat. Das ist noch wichtiger als die vereinbarte Belohnung. Gerade bei den unangenehmeren Arbeiten! Der Fleißige erhält dann von allen lautstarkes "Lob und Preis!". Auch wenn die Familie dabei kichert, gefällt es mir selbst natürlich auch, wenn sie vielstimmig durchs Haus ruft: „Wir loben und preisen die Mama! Sie hat die Klos so schön geputzt!”

Beate Allmenröder

8. Vom großen Erzähler Peter Kurzeck - oder: Wie ein gutes Gespräch entsteht

„Mit Carina die Bockenheimer Landstraße und dann durch die Leipziger Straße. Lang. Und müssen einander wie immer den Tag, den heutigen Tag erzählen. Jeder seinen, er wäre sonst nicht gewesen, der Tag. Und wir auch nicht.“


Sich des Lebens vergewissern, indem wir es erzählen: es begreifen, reflektieren, verstehen. Erinnern, wiederholen, durcharbeiten. Darin war Peter Kurzeck, im Herbst 2013 zu früh gestorben, der große Meister. Wir trauerten alle, die er mit seinen Staufenberger, Gießener und anderen Geschichten in seinen Bann geschlagen hatte, wie um einen guten Freund. Weil es sich anfühlt, als kennten wir ihn persönlich, da er uns mit seinem weisen und leisen Humor in seinen Erzählungen so intensiv an seinem Leben teilhaben ließ.

„Und müssen einander wie immer den Tag, den heutigen Tag erzählen. Jeder seinen, er wäre sonst nicht gewesen, der Tag. Und wir auch nicht.“ (Foto: M. Ihle)


Die obigen Sätze sind ein Zitat aus „Ein Kirschkern im März“. Peter Kurzeck ist auf dem Heimweg vom Kinderladen mit seiner kleinen Tochter Carina. Sie erzählt von ihrer Pizza, redet sie herbei, auf die sie „alleinst alles draufgelegt“ hatte.


Kinder sind Meister des Erzählens. Oft unentdeckt. Denn es gibt den Stress im Alltag der Eltern - und manchmal auch in dem der Kinder. Dann ist die Zeit knapp, keine Ruhe zum Zuhören. Es gibt Verpflichtungen und gegensätzliche Interessen, dazu den PC und die (vielleicht gar nicht so) sozialen Netzwerke…. Dann ist es in vielen Familien irgendwann so, dass man einander nicht mehr viel erzählt. „Wie war es in der Schule?“. „Gut“. Manche Eltern sind enttäuscht, dass die Kinder so wenig erzählen, manche sind auch froh, dass sie nicht zuhören müssen.

Kürzlich traf ich einen Mitarbeiter einer Beratungsstelle: er erzählte mir, dass er und seine Frau – als die Kinder klein waren – die Spülmaschine abgeschafft hätten, weil sie gemerkt hatten, dass beim gemeinsamen Abspülen die intensivsten Gespräche entstehen. Dann berichtete er, wie viele junge Erwachsene und deren Eltern zu ihm kämen, seinen Rat suchten, weil sie den Schritt ins Leben nicht schaffen. Die psychisch erkrankten. Bei denen eine Sucht das Leben beeinträchtige... Er erzählte von der Verzweiflung. „Wieso wir so ein Glück mit unseren Kindern gehabt haben, dass wir solche Probleme gar nicht kennen, weiß ich auch nicht“, sagte er. Ob es auch mit der abgeschafften Spülmaschine zu tun hat?


Und wie es der Zufall will, las ich einen Tag später in Tom Hodgkinsons „Leitfaden für faule Eltern“: „Mir wäre es am liebsten, wenn die Kinder überhaupt keinen Unterschied zwischen Arbeit und Spiel wahrnähmen. Stellen Sie sich vor, sie hätten beim Abwasch genauso viel Spaß wie im Kino! Möglich ist das. … All das nahm seinen Anfang, als – o glücklicher Tag! – die Spülmaschine den Geist aufgab. Schon viele Jahre hatte ich gegen den hässlichen, brummenden Energieschlucker angewettert. Die Spülmaschine macht der Vorstellung von der Familie, die in trauter Eintracht den Abwasch erledigt, den Garaus….“ (Berlin 2009, S.208)


Dass die Küche immer ein Ort für gute Gespräche ist, kennen wir von Festen: während es im festlich vorbereiteten Wohnzimmer manchmal eher öde zugeht, ist es in der Küche höchst lebendig. Zum Glück ist es für den lebendigen und erzählintensiven Familienalltag nicht nötig, immerzu Feste zu veranstalten. Die normale Alltagsküchenarbeit tut es auch: Dass ich die Frage: „Wie war es in der Schule“ gar nicht mehr zu stellen brauche und trotzdem viel erfahre, ist mir allmählich deutlich geworden, nachdem es bei uns zur Selbstverständlichkeit geworden war, dass in der Küche auch die Kinder arbeiten. Waren sie es erst einmal geübt, Kartoffeln zu schälen, Zwiebeln und Möhren zu schneiden, wurde jede ruhige Arbeit zur guten Gelegenheit, von den Freuden und Sorgen, von den Gedanken meiner Söhne zu erfahren.


Und wenn sie manchmal nicht gleich „rausrücken“ mochten, bewährte sich der Rat einer alten Nachbarin: „Auch ihr Eltern müsst von Euch erzählen!“ Natürlich haben wir das je nach Alter der Kinder gefiltert. Wie Peter Kurzeck schreibt: auch unsere Tage wären ja nicht gewesen, wenn wir sie nicht erzählt hätten. Erst war ich erstaunt, dass es die Kinder tatsächlich interessiert, was ihre Eltern in der Erwachsenenwelt erleben, dann habe ich gemerkt, dass es dazu hilft, dass auch sie sich als Gesprächspartner ernst genommen fühlen. Um dann umso unbefangener auch von sich zu erzählen.

Beate Allmenröder


9. Blaukraut wird Rotkraut und Rotkraut wird Bildung

„Wunderwerke der Natur“ können Kinder beim Kochen bestaunen.

(Foto: M. Ihle)

„Ich habe überhaupt keine Lust auf diesen Elternabend morgen“, stöhnt meine Freundin Karola. „Familie als Bildungsort, zweite Folge. Hört sich doch gut an“, finde ich. „Ja, das ist schon interessant“, gibt Karola zu. „Aber weißt Du, wie es ausgehen wird: ich werde wieder deprimiert nach Hause gehen, weil ich als berufstätige Mutter keine Zeit für Zahlenrätsel und Lesespiele habe. Keine Zeit für Kastanienmännchen und Heu-Kränzchen. Keine Zeit für feinmotorische Bastelspiele, die die Entwicklung des Gehirns fördern. Keine Zeit, keine Kraft.“


Sie unterbricht sich: „Aber komm, lass uns mal in die Küche schauen. Ich weiß nicht, ob die Kiddies mit dem Rotkraut schon alleine zu Recht kommen“. In ihrer Küche sind unsere 4 Sprösslinge im Alter von 5 bis 7 Jahren zugange. Es ist gut, dass wir gerade kommen: „Gell, Mama, das Doppelte von ein Viertel ist ein Achtel“, sind sie alle vier überzeugt. „Wir haben schon alles ausgerechnet“, erklärt uns Lukas eifrig. „Wir haben den Kohlkopf gewogen. Der Zeiger war bei fast 2 Kilogramm. Wir haben das Rezept gelesen: es ist aber nur für 1 Kilogramm. Dann brauchen wir also immer das Doppelte, oder? 4 Zwiebeln, 80 g Fett, 4 Äpfel, 8 Esslöffel Essig und 8 Nelken.“ „Na, dann lasst uns mal zusammen überlegen, wie viel Wasser da nun dran muss.“ sagt Karola als souveräne Mutter. Als die Kinder einen Viertel- und einen Achtel-Liter Wasser nebeneinander sehen, wird ihnen ihr Rechenfehler anschaulich.

„Dann müssen wir jetzt erst einmal den Kohlkopf kleinschneiden“, weiß Julchen und schwingt schon das riesige Küchenmesser. Karola nimmt ihr das Messer aus der Hand: „Das Durchschneiden übernehme ich mal lieber“. Der Kohlkopf zerfällt in 2 Teile. Und schon ist Karola umringt von den Kochzwergen: „Das sieht ja richtig schön aus!“ Sie betrachten fasziniert die schöne Struktur des zerschnittenen Gemüses. Jule saust davon, um ihr Religionsschulbuch zu holen: „Guckt mal hier: „Wunderwerke – all diese schönen Formen haben eine Mitte. Jedes Leben muss eine Mitte haben“ liest sie vor. Tatsächlich: da sind genau die Hauptzutaten zum Rotkohl abgebildet: Ein durchgeschnittener Rotkohlkopf, ein Apfel, eine Zwiebel. Es dauert eine Weile, bis sich die 4 durchringen können, diese Wunderwerke der Natur nun weiter zu zerkleinern, so dass sie schließlich in den Topf wandern können. Dazu brauchen sie eine Weile: mit ihren kleine Fingerchen ist es gar nicht so einfach, den großen Kohlkopf in feine Streifen und die Zwiebeln in feine Würfel zu „zersäbeln“. Beim Zusehen muss ich schmunzeln: „Hier entwickelt sich gerade Intelligenz. Feinmotorische Übungen tragen zur Gehirnentwicklung bei.“

Inzwischen schmoren Zwiebeln und Rotkraut im Topf. Lukas liest, als Leseanfänger noch ziemlich stockend, im Kochbuch: „So-fort et-was Es-sig da-rü-ber gie-ßen“. Natürlich will er wissen, warum Essig ins Rotkraut soll – und staunt nicht schlecht, als das Kraut sich sofort von bläulich nach rot verfärbt. Karola und ich haben noch dunkle Erinnerungen an den „Lackmustest“. Während das Rotkraut gart, lassen uns die Kinder „Blaukraut bleibt Blaukraut und Brautkleid bleibt Brautkleid“ sagen, bis wir es so fehlerlos wie sie können. Sie haben es schon beim Gemüseschneiden geübt.

 

Das Rotkraut schmeckt ausgesprochen gut - und es stellt sich raus, dass die Kinder die doppelte Menge von der doppelten Menge Äpfel daran gegeben haben. Eine Zufallsentdeckung: Das Geheimnis eines guten Rotkrautes sind viele, viele Äpfel.

Die zweite Zufallsentdeckung für uns Mütter an diesem Tag: auch beim Rotkrautkochen kann die Familie zum Bildungsort werden. Ich habe nämlich beobachtet, dass in Karolas Küche heute eine Stunde in Mathe, in Lesen, in Religion, in Chemie… stattgefunden hat. War nicht der Brautkleid-Zungenbrecher sogar eine logopädische Übung?


Karola sieht dem Elternabend jetzt ganz vergnügt entgegen: „Unsere Erkenntnisse von heute werde ich morgen Abend mal zur Diskussion stellen. “

Beate Allmenröder

10. Früh übt sich, wer kein Macho werden will

 

„Großartig!“, jubele ich am Frühstückstisch. „Haben wir nicht eine wunderbare Zeitung abonniert!?“ Mit meiner Freude reiße ich den Mann, mit dem ich seit Jahren nicht nur das Frühstück, sondern auch die Passion teile, dabei Zeitung zu lesen, aus seiner Lesekonzentration. „Schau mal,“ begeistere ich mich, „das hat die „Gießener Allgemeine“ doch wieder richtig gut gemacht: auf derselben Seite wie die Serie über hausarbeitende Kinder die Philosophin, die übers Putzen schreibt. Und das am Weltfrauentag!“ Er blickt von seiner Zeitung auf und runzelt die Stirn: „Am Weltfrauentag schreibt eine Frau übers Putzen?“ Und grinst, als er fortfährt: „Ja, doch, das gefällt mir!“

"Umso wichtiger, dass alle Jungs von Anfang an das Putzen lernen, oder?“ (Foto: M.Ihle)


„Nein“, belehre ich ihn, „es handelt sich um eine Philosophie des Putzens. Da geht es ums Putzen für alle Geschlechter!“ sage ich – und mir fällt ein Gespräch mit anderen Müttern ein, das wir geführt hatten, als unsere Kinder noch klein waren.

 

Da hatte sich so manche unter uns gewünscht, dass ihre Schwiegermutter ihrem Sohn mehr Haushaltskompetenzen mit auf den Lebensweg gegeben hätte. Eine beklagte sich, dass ihrem Mann die „Bedienung“ eines Putzlappens komplizierter zu sein schien als die seines Videogerätes. Eine andere hatte von der Überzeugung ihres Lebensgefährten berichtet, dass das moderne „Wasserclosett“ sich von alleine reinige. Es gab die Freundin, deren Liebster ihre Bitten, dass er sich am Putzen beteiligen möge, konterte – während er genüsslich das von ihr auf den Tisch gestellte Essen verspeiste – dass Haushaltsarbeit „kleinkariert“ und „spießig“ sei. Und es kursierte die Geschichte des zur Beteiligung an der Hausarbeit gezwungenen männlichen Wesens, das sämtliche Kaschmir-Pullover seiner Gattin in die Kochwäsche gegeben hatte, um damit sicher zu stellen, dass er nie wieder die Waschmaschine bedienen müsse. „Seht ihr!“ mischte sich Karola ins Gespräch, „das ist einer der Gründe, warum ich nicht nur Jule, sondern auch Lukas all das beibringe, was die gute Hausfrau und der gute Hausmann können muss. Und wisst Ihr,“ - fuhr sie mit dem ihr eigenen Humor fort, „was einen Mann besonders erotisch macht? Eine Spülbürste und ein Scheuerlappen in seiner Hand.“ Und schon hatte sie sich in Rage geredet: „Was ich überhaupt nicht verstehe: warum Leute, die Kinder haben, eine Putzfee beschäftigen. Wie sollen die Kinder denn dann das Putzen lernen!? Und Respekt bekommen vor dieser Tätigkeit? Und außerdem: Zu Unrecht regt Ihr Euch über Eure Schwiegermütter auf! Man lernt von Vorbildern – und das waren doch die Schwiegerväter, die auch keine Hausarbeit gemacht haben!“

 
Natürlich gab es unter uns auch welche, die einen von diesen „Ausnahme-Männern“ erwischt hatten, die das Geheimnis der Liebe längst kannten. Ich träumte noch davon – und daher leuchtete mir Karolas Argument auch sofort ein, vor allem die Söhne frühzeitig an der Hausarbeit zu beteiligen. Inzwischen weiß ich selber, wie gemeinsame Verantwortung für die Hausarbeit die Liebe stärkt. Ja, Putzlappen in Männerhand sind durchaus erotisch.

 

Ich setze das Frühstücks-Gespräch fort, indem ich aus der Zeitung zitiere: „Putzen kann entspannend, körperlich herausfordernd und sinnvoll sein – genau wie Sport, sagt Nicole Karafyllis“. Und weiter lese ich aus dem Artikel der Philosophie-Professorin vor: „Es ist eine der wenigen Tätigkeiten, bei denen ich Zeit habe nachzudenken. Völlig zu Unrecht fehlt dem Putzen die gesellschaftliche Anerkennung“.

 

„Das hat die Soziologie schon längst herausgefunden: wenn in einem gesellschaftlichen Bereich hauptsächlich Frauen tätig sind, hat er keine Anerkennung“, trägt der Mann, der nicht nur putzt, sondern auch liest, zu unserem Gespräch bei. „Umso wichtiger, dass alle Jungs von Anfang an das Putzen lernen, oder? Deswegen finde ich es gut, dass dieser Artikel am Weltfrauentag erscheint“, will ich recht behalten. „Na, dann hast du aber ein Problem“, scherzt mein Liebster, „wann soll denn dann dein Artikel übers Putzen gedruckt werden? Der Weltfrauentag ist ja gerade vorbei.“ „Jeder Tag ist ein guter Tag, an dem darüber geschrieben wird, dass Jungs das Putzen lernen“, kontere ich. „Soll ich dir mal noch etwas verraten?“ fragt er schelmisch. „Meine Eltern haben mir das Putzen auch nicht beigebracht.“ „Trotzdem hast Du es gelernt! Das ist erst Recht eine gute Nachricht!“, finde ich.

Beate Allmenröder

11. Murat wringt Salat - Selbstverantwortung fördern

Nicht nur in der Küche wurde er schnell geschickter... (Foto: M. Ihle)

In der Schule im Berufsvorbereitungsjahr „Hauswirtschaft“ sehe ich, wie Murat – der in Wirklichkeit anders heißt - Salat „wäscht“: er wringt die armen Blätter des grünen Kopfsalats wie der gute Hausmann – oder in der Realität doch eher die gute Hausfrau? - einen Scheuerlappen wringen würde. „Was machst Du da???“ „Wir sollen den Salat waschen!“ Mich veranlasst meine Beobachtung ihn zu fragen: „Kochst Du auch manchmal zu Hause?“ Sein „Nein“ kommt überzeugend, und sein Gesichtsausdruck wäre wohl kaum anders gewesen, hätte man ihm einen unsittlichen Antrag gemacht.


Murat ist ein charmanter, gut aussehender junger Mann von 16 Jahren. Nur leider völlig unzuverlässig: das Kopiergeld bezahlt er nicht, das Koch-Geld vergisst er fast jedes Mal, seine Hausaufgaben macht er eigentlich nie. Sein Berufswunsch ist Koch.


Nach einem schlechten Halbjahreszeugnis bitten die Eltern um ein Gespräch. Es kommen zwei sympathische Menschen, die sehr um die schulische und berufliche Entwicklung ihres Kindes besorgt sind. Sie verstehen gar nicht, warum ihr Sohn sich so unzuverlässig verhält, wo sie sich doch so zuverlässig um ihn kümmern! Warum er so schlechte Noten hat, wo sie doch alles für ihn tun! Ich frage auch sie, ob Murat zu Hause kocht. Auch sie finden die Frage mindestens merkwürdig. Und sonst: andere Hausarbeiten? Nein, nie. (Das ist keine Eigenheit türkischer Einwanderer! Nein, das gibt es genauso in „urdeutschen“ Familien jeden Bildungsgrades!) Ich frage Murats Eltern nach ihren eigenen Kindheitserfahrungen. Beide erzählen, wie viel und wie hart sie damals weit im Osten der Türkei hätten schon von früh an mitarbeiten müssen. Sie erzählen lebhaft und mit einem Leuchten in den Augen. Dann müssen sie beide lächeln: Es dämmert ihnen! Die Situation ist nicht vergleichbar mit der damaligen in kleinbäuerlicher, anatolischer Landwirtschaft. Aber auch im Haushalt gibt es viel Arbeit. Für einen zukünftigen Koch darf Kochen ja wohl nicht als „niedrige Frauenarbeit“ gelten. Das leuchtet allen dreien ein. Ich gebe die „Hausaufgabe“, dass Murat die Gerichte, die er in der Schule lernt, zuhause für die Familie nachkocht. Und rate dringend, ihn mehr und mehr auch bei anderer Familienarbeit zur Verantwortung zu ziehen.


Ich habe Murat noch ein paar Mal an seine Koch-Hausaufgabe erinnert. Nach ein paar Wochen habe ich auch noch einmal mit den Eltern telefoniert, um zu hören, ob die Vereinbarung gilt. Es dauerte nicht lange - dann fand mit Murat eine wunderbare Verwandlung statt: Nicht nur in der Küche wurde er schnell geschickter und verblüffte die Kollegin mit seinen Fertigkeiten. Auch in den anderen Fächern machte er auf einmal die Hausaufgaben und hatte immer alles Geforderte dabei. Wie durch ein Wunder mauserte er sich in nur wenigen Monaten zu einem verantwortungsbewussten, jungen Mann.


Wissenschaftlich untersucht habe ich das nicht, aber ich bin der Überzeugung, dass es einen Zusammenhang zwischen der Übernahme von Verantwortung im Familienalltag und der Selbstverantwortung für Schulangelegenheiten gibt. Nachdem ich selbst erstaunt Murats Entwickung wahrgenommen hatte, habe ich manchmal meine Schüler nach ihrer Mitarbeit zu Hause gefragt. Dabei hat sich meine Theorie im Wesentlichen bestätigt: Wer in der Familie regelmäßig verantwortungsvolle Aufgaben übertragen bekommt, der erledigt meistens auch die Hausaufgaben selbständig und eigenverantwortlich. Sehr häufig korrespondieren damit sogar gute schulische Leistungen. Fast immer hat man es dann mit umgänglichen, sozial-kompetenten, jungen Menschen zu tun. Wobei es natürlich auch zuverlässige, nette Jugendliche mit guten Noten gibt, die zu Hause nicht wesentlich mithelfen.

Am Schuljahresende hat Murat doch noch ein erstaunlich gutes Zeugnis bekommen. Die Eltern bedanken sich. Sie haben wohl etwas Wichtiges verstanden, als sie sagen: “Weil wir unbedingt wollten, dass unser Sohn es einmal besser hat als wir, haben wir es eigentlich schlechter für ihn gemacht. Seit er jeden Tag etwas für die Familie gearbeitet hat, war er viel ausgeglichener, viel umgänglicher und hat viel bessere Noten bekommen.“

Beate Allmenröder

12. "Du fragst, was wir hier machen? Wir schuften und wir lachen!"

„Ich habe ein Haustier, das zeig ich Dir: Die Staubmaus, die wohnt bei uns im Haus“, reimt Jule    (Foto: M. Ihle)

Bei meiner Freundin Karola ist offensichtlich große Putzaktion. Die Türe ist angelehnt. Als ich unbemerkt hereinkomme, höre ich Staubsauger-Geräusche: Der 10-jährige Lukas saugt und singt: „Ich sauge, ich sauge“ - sieht mich und fährt fort - „da kriegst Du eins aufs Auge“. Und lacht! Er lässt sich bei seiner Staubsauger-Performance gar nicht stören. Er singt nämlich nicht nur, sondern er tanzt auch noch, während er mit dem Staubsauger-Rohr geschickt in alle Ecken fährt und weist in Richtung Badezimmer. Von dort höre ich schon Karola und ihre Tochter Jule kichern. Einen Moment beobachte ich Lukas‘ faszinierende Staubsauger-Choreografie. Pina Bausch wäre begeistert gewesen! Dann zieht mich Jules Stimme in Richtung Badezimmer: „Ich habe ein Haustier - das zeig ich Dir: Die Staubmaus - die wohnt bei uns im Haus“, reimt sie, und klärt mich auf, während sie ein solches „Haustier“ unter dem Badezimmerschrank ausfindig macht, dass heute Putzreim-Tag sei. „Wenn Menschen sich besuchen - dann gibt es Kuchen. Wir brauchen eine Pause - und machen eine Jause.“


Damit sind alle einverstanden: Geschwind ist der Tisch gedeckt. Jule will mir ein Stück Pflaumenkuchen geben. Statt auf dem Teller landet es kopfüber auf der frischen Tischdecke. Schon brechen alle drei wieder in Gelächter aus. „Oh, ein Fleck - auf der Tischdeck‘!“

„Du lässt Deine Kinder schuften und trotzdem ist es bei Euch immer so lustig?“ wundere ich mich, an Karola gewandt. „Warum lacht Ihr denn, wenn ein Fleck auf der Tischdecke ist?“, füge ich hinzu, obwohl sie mich längst mit Lachen angesteckt haben. „Das war doch irgendwie lustig, wie der Pflaumenkuchen da gepurzelt ist“, sind sich die Kinder einig. Und prusten noch einmal los. „Ist es bei uns denn besonders lustig? Lustiger als in anderen Familien?“ fragt Karola, als sie wieder zu Atem gekommen ist.

„Ich finde schon“, sage ich und bin froh, dass inzwischen der Kuchentransport auf meinen Teller geglückt ist. „Ich kenne sonst keine Familie, in der die Mutter lacht, wenn die Kinder den Kuchen auf die Tischdecke werfen“. Das bringt die Kinder schon wieder zum Lachen.

„Du scheinst Recht zu haben – aber warum ist das so? Darüber habe ich noch nie nachgedacht“, wird Karola nun nachdenklich. Die alberne Stimmung wechselt und auch die Kinder denken nach. „Ehrlich gesagt“, hebt Jule an und muss erst einmal den Kuchen in ihrem Mund runterschlucken „finden wir es nicht immer lustig, wenn wir uns mit Freunden treffen wollen und die Mama sagt dann, dass wir erst putzen müssen.“ „Erst verdirbt das einem die Laune. Wir wollten nämlich eigentlich Inliner-Fahren,“ fügt ihr Bruder hinzu, „aber wenn man dann zusammen an der Arbeit ist und weiß, dass jeder seinen Teil beiträgt, dann macht es meistens sogar Spaß. Wenn wir dann zusammen alles geschafft haben, ist das ein richtig gutes Gefühl.“ „Ja, vielleicht so wie auf einem Schiff, auf dem alle zusammen helfen müssen, damit man im Sturm nicht untergeht“, überlegt Jule, die mit der Klasse auf einem Segeltörn war. „Guter Vergleich!“ finde ich. „Ihr trotzt zusammen den Stürmen des Alltags, wie eine Mannschaft auf einem Schiff – und das stärkt Euren Zusammenhalt.“

„Ja, stell Dir vor, ich würde hier alleine putzen, und die kids säßen währenddessen am PC. Dann wäre ich nicht so guter Laune“, ergänzt Karola und fährt fort: „Stärkt das nicht immer Beziehungen, egal ob Partnerschaft, Familie oder Gruppe, wenn es eine gemeinsame Aufgabe gibt?“ „Und wer sich gut miteinander fühlt, der ist auch lustig“, fasst Lukas das Gespräch zusammen, während er sich das letzte Stück seines Kuchens in den Mund schiebt.

„Ja, sehr lustig und gemeinschaftsfördernd, wenn Du mir eins aufs Auge geben willst“, muss ich nun doch noch mal – schmunzelnd - auf seine „Begrüßung“ zurückkommen. Das löst wieder Gelächter aus. Und nach Karolas scherzhaftem Tadel haben die Kinder schnell einen neuen Reim gefunden: „Du fragst, was wir hier machen? - Wir schuften und wir lachen.“

„Dürfen wir jetzt aufstehen, fertig putzen und dann zur Halfpipe?“

Beate Allmenröder

13. Kasachische Cowboys: Freiheit, Bewegung und Abenteuer

Vor mehr als 10 Jahren begegnen mir im Unterricht eines Berufsvorbereitungsjahres Jurij, Andrej und Viktor, drei 16-jährige Russlanddeutsche, erst kurz in Deutschland. Liebenswerte Burschen, aber unruhig und laut. Als ich sie nach ihrem Leben in Kasachstan frage, ist Ruhe in der Klasse. Zunächst wollen sie nichts erzählen: „Das interessiert hier sowieso keinen“. „Doch, mich interessiert es, und Ümit, Marcel und Ali auch.“ Wir waren gerade darauf gekommen, dass uns über alle nationalen Grenzen hinweg unsere bäuerlichen Wurzeln verbinden. Zögernd fängt Jurij an. Er erzählt, wie er Tage und Nächte mit seinem Onkel unterwegs gewesen sei, um die riesige Kuh-Herde zu hüten. Seine Augen beginnen zu leuchten.

„Du hast ihn die ganze Strecke alleine durch den Wald radeln lassen? Das ist doch gefährlich!“ (Foto: M. Ihle)


In unserem engen Klassenraum entstehen Bilder der Weite von Taiga und Tundra und wir sehen einen glücklichen auf einem Pferd dahin galoppierenden Jungen vor uns. Die drei kommen ins Schwärmen: wie sie Saft aus Birken gewonnen, Nächte an Lagerfeuern verbracht und sich mit ihren Freunden an Wochenenden am Fluss getroffen hätten mit Gitarre und Akkordeon... Und dann die nüchterne Rückkehr in die deutsche Realität „Wenn Du hier einen Nagel in eine Birke schlägst, kommt sofort die Polizei.“


Seit diesem Gespräch wundert es mich nicht mehr, dass vergleichsweise viele junge Russlanddeutsche in harte Drogen abrutschen: ein anderes Abenteuer scheint ihnen Deutschland nicht zu bieten.


Auch wenn sich „Migrationshintergrund“ irgendwie wie „schwere Behinderung“ anhört, haben mich diese Schüler gelehrt, dass Einwanderer viele Erfahrungen, Begabungen, Talente, Fähigkeiten und Ressourcen mitbringen. Wir müssten uns nur dafür interessieren!

Indem wir den - sonst oft im Dunklen bleibenden – Migrations-„Hintergrund“ aufgehellt haben, ist mir durch diese drei jungen Russlanddeutschen noch einmal mehr deutlich geworden, wie sehr Kinder Freiheit, Bewegung und Abenteuer brauchen.

Aber wie kann ich dies meinen Söhnen im „engen Deutschland“ (so hatten es die drei formuliert) ermöglichen?


Das Aha-Erlebnis dazu habe ich kurze Zeit später, als ich bei meiner Freundin Karola zu Besuch bin. Kurz vor dem Abendessen stürmt ihr 12-jähriger Sohn Lukas herein: außer Atem und fröhlich. „Ich habe ein Wildschwein mit 8 Jungen gesehen!“, platzt er heraus. „Wo warst Du denn?“ frage ich ihn verwundert. „Bei Felix“. Ich weiß, dass sein Freund Felix im 11 km entfernten Dorf wohnt. „Hat der Wildschweine?“ „Nein, die Wildschweine habe ich im Wald gesehen. Die sind mir direkt vorm Fahrrad über den Weg gelaufen. Erst hab ich einen Schreck gekriegt. Aber sie sind ganz schnell im Wald verschwunden.“ Erstaunt wende ich mich an Karola: „Du hast ihn die ganze Strecke alleine radeln lassen? Das ist doch gefährlich!“ Karola ist eine coole Mutter: „Was soll im Wald gefährlich sein?“ „Man hört so viel…“, will ich einwenden, aber da fährt sie schon fort: „Die Menschen fürchten sich vor den falschen Dingen! Wie viele Kinder sterben im Straßenverkehr und wie viele werden im Wald gekidnappt? Trotzdem denken viele Eltern, es sei ungefährlicher, sie mit dem Auto zu bringen.“ Jetzt ist sie nicht mehr zu stoppen: „Außerdem zählt Bewegungsmangel bei uns zu den Haupttodesursachen. Täte Eltern und Kindern gut, das Auto stehen zu lassen. Weißt Du eigentlich, wodurch die meisten Kinder zu Fuß auf ihrem Schulweg verunglücken? Durch Eltern, die ihre Kinder mit dem Auto bringen! Habe ich gerade in der Zeitung gelesen. Da stand auch, dass schon Kindergartenkinder, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad kommen, klüger und gesünder sind, als die, die mit dem Auto gefahren werden.“


Die kasachischen Cowboys Juri, Andrej und Viktor und der Radfahrer Lukas haben damals bewirkt, dass bei uns das Muttertaxi in der Garage blieb. Schnell fanden meine Söhne Gefallen an der Freiheit, die ihnen das Radeln ermöglichte. Als sie dann den Führerschein hatten und ich ihnen manchmal die Benutzung des Autos anbot, hielten sie mir Vorträge über Glückshormone, die der Körper bei Bewegung produziert, über gesundheitliche und ökologische Vorteile des Fahrradfahrens und schwärmten mir von wunderbaren Naturerlebnissen vor. Selbst Glatteisnächte, Überschwemmungen auf dem Schulradweg oder nahende Gewitterfronten hielten sie selten vom Radeln ab. Abenteuer im „engen Deutschland“! Für diese „Suchtprävention“ bin ich den drei russlanddeutschen Jungs bis heute dankbar.

Beate Allmenröder

14. Überforderung ist Diebstahl, Unterforderung ist Mord - Von der nützlichen Erfahrung, nützlich zu sein

„Kinder Torte backen zu lassen, ist eine sehr gute ergotherapeutische Übung! Kann ich noch ein Stück bekommen?“ (Foto: M. Ihle)

Jule und Lukas, die Kinder meiner Freundin Karola, stehen auf der Leiter. Der Rollladen-Kasten ist ihre Baustelle. Mit Schraubenzieher und Zange in der Hand rätseln sie über der Mechanik - drei Tage vor Jules Konfirmation. „Warum holst Du denn keinen Handwerker?“, frage ich Karola. „Die beiden wollten ausprobieren, ob sie den Rollladen nicht selbst wieder in Gang bringen. Heute Morgen konnten wir ihn nicht mehr hochziehen“. „Selbst wenn sie es hinkriegen, muss das doch noch wieder tapeziert und gestrichen werden!?“ Wir verfolgen das Thema nicht weiter, weil noch die Planungen für den Konfirmationstag zu besprechen sind.


Nicht erst als der 13-jährige Lukas am Tag der Konfirmation seiner Schwester die selbst gebackene Schwarzwälder Kirschtorte zum Tisch bringt, sondern schon beim Mittagessen, für das Lasagne und Mousse au chocolat von der Konfirmandin und ihrem jüngeren Bruder am Vortag vorbereitet waren, fällt mir der Rollladen wieder ein. Über dem Fenster ist alles wieder unauffällig.


Nach dem Kaffeetrinken toben Kinder und Jugendliche davon und wir Erwachsenen können uns den „ernsten“ Themen widmen. Wir sind beeindruckt von Karolas Kindern, die Konfirmationsessen vorbereiten, Torten backen und Rollläden reparieren.


Patin Sylvia sagt zu Karola: „Du mutest Deinen Kindern echt viel zu. Aber gut drauf sind sie ja trotzdem.“ „Ja, Du erziehst richtig wertkonservativ, aber Deinen Kindern scheint es nicht zu schaden“, fügt ein Onkel hinzu. Karola schaut irritiert: „Wieso wertkonservativ?“ „Sie müssen so viel arbeiten, Deine Kinder. Das ist heute doch gar nicht mehr üblich.“ Jetzt schaltet sich Jules andere Patin, Ergotherapeutin von Beruf, ins Gespräch: „Vielleicht sind sie ja gut drauf, weil Karola sie so viel arbeiten lässt? Kindern sinnvolle Beschäftigung zu geben, ist doch nicht wertkonservativ! Ich glaube sogar, dass viele Kinder echte Symptome von Langzeitarbeitslosigkeit zeigen.“ Nun schauen wir irritiert. „Was glaubt ihr, wie oft ich Kinder in Behandlung habe, die noch nie einen Apfel geschält, ein Ei aufgeschlagen oder gar eine Torte gebacken haben! Bei Erwachsenen weiß man das längst, dass sie krank werden, wenn sie nichts Sinnvolles zu tun haben! Alle Menschen brauchen Herausforderungen, für die sie Anerkennung erhalten. Aber wie viele Eltern lassen ihre Kinder fast gar nichts mehr selbst machen! Sogar die Schulbrote werden ihnen fertig in den Ranzen gesteckt. Den Kindern fehlt doch die nützliche Erfahrung, nützlich zu sein.“


Mir fällt ein, dass ich als 4-jährige beim „Steine-Lesen“ auf unserem Bauernhof den Traktor mit Wagen lenken musste. Ich konnte natürlich noch nicht wirklich fahren, aber den Traktor im Schritttempo in der Spur halten, während die Erwachsenen nebenher liefen und die Steine auf den Wagen warfen, das konnte ich schon. Beim Wenden sprang mein Vater auf, und dann durfte ich weiter“fahren“. Stundenlang habe ich das geduldig gemacht – und war sooo stolz, weil ich ja wirklich eine ganze Arbeitskraft ersetzt habe.


„Siehst Du“, kommentiert Karola meine Kindheitserinnerung, „und genauso stolz wie Du damals waren meine Kinder vorgestern als sie mir den Handwerker ersetzt hatten und der Rollladen wieder tadellos funktionierte.“ Das ergänzt die Ergotherapeuten-Patin: „Heute spricht man immer von der Unzurechnungsfähigkeit der Pubertierenden, Umbau im Hirn… usw. Früher war die Konfirmation der Beginn des Arbeitslebens. Das hat damals auch funktioniert. Ich sage Euch: es ist nicht der Hirnumbau bei den heutigen Jugendlichen, der sie in der Pubertät so schwierig macht. Nein, es ist die Arbeitslosigkeit. Typische Symptome sind doch Selbstzweifel, Stimmungsschwankungen, Depressionen, Suchterkrankungen, innere Unruhe…Warum sollte das denn bei Kindern anders sein?“ „Krasse These“, sagt Patin Sylvia. „Na ja, vielleicht ist das gar nicht so falsch“, mischt sich nun wieder der Onkel ins Gespräch. Ich habe kürzlich bei einem Pädagogik-Seminar einen interessanten Satz gehört: Überforderung ist Diebstahl, Unterforderung ist Mord. Vielleicht tun wir unseren Kindern ja tatsächlich etwas an, wenn wir zu wenig von ihnen erwarten und verlangen? – Torte backen zu lassen, halte ich jedenfalls für eine sehr gute ergotherapeutische Übung! Kann ich noch ein Stück bekommen?“

Beate Allmenröder


15. Smartphone-Mütter und Facebook-Lehrer        – Erziehung in der Digitalmoderne

Auf dem Fahrradweg muss ich scharf bremsen: eine telefonierende, junge Frau schiebt mir ihren Kinderwagen direkt vors Rad. Sie nimmt den Beinahe-Unfall, den sie verursacht, nicht einmal wahr. Ein Bekannter beobachtet die Szene und begrüßt mich. „Schön, dass ich Dich treffe! Und dann auch gerade in dieser Situation!“ sagt er grinsend. „Ich wollte Dich nämlich schon anrufen. Denn ich habe da noch ein wichtiges Thema für Deine Zeitungskolumne...“ Ich schaue ihn fragend an. Er nickt der jungen Frau hinterher, die völlig unbeeindruckt ihres Weges zieht: „Genau darum geht es: Familie, Kinder, Smartphones.“

„Verloren unter 100 Freunden“? (Foto: M. Ihle)


„Was soll ich denn darüber schreiben? Welche Erfahrungen macht Ihr denn in der Klinik damit?“, frage ich. Thomas arbeitet als Therapeut in einer psychiatrischen Klinik für Kinder- und Jugendliche.


„Viele der Jugendlichen sind 'Verloren unter 100 Freunden', würde ich sagen. Kennst Du dieses Buch von Sherry Turkle?“ Ich schüttele den Kopf, so dass er weiter spricht: „Es beschreibt ziemlich genau, was wir bei unseren jungen Patienten beobachten: in Medien abgetauchte junge Menschen. Sie sind in sozialen Netzwerken unterwegs und dennoch beziehungslos oder zumindest beziehungsgestört. Kaum noch in der Lage, sich in andere hinein zu versetzen. Vor lauter Medien spüren sie weder sich selbst noch andere. Was ihnen komplett fremd ist, ist so etwas wie schöpferische Einsamkeit, Langeweile, aus der etwas Neues entsteht.“ „Und? Wie geht Ihr damit um?“ „Wir nehmen den Kindern und Jugendlichen die Smartphones ab und reglementieren die Mediennutzung. Am Abend dürfen sie für eine begrenzte Zeit ins Internet. Statt Smartphones und PCs gibt es Gespräche, Gruppentrainings, Ergotherapie und Sport. Das passt zu Deinen Texten: Selbstwirksamkeitserfahrungen im realen Leben – das halten wir für einen wichtigen Therapieansatz.“


„Und wie macht Ihr es mit Euren eigenen Kindern?“, will ich nun wissen. Meine Kinder sind ja in der Vor-Smartphone-Zeit groß geworden. „Gute Frage. Wir versuchen zu Hause auch, die Smartphone-Nutzungszeiten klar einzuschränken. Wenn wir als Familie zusammen sind, sind alle Handys aus. Abends müssen beide Kinder ihre Smartphones abgeben. Wir achten darauf, dass es auch immer wieder Zeiten gibt, in denen sie mit sich selbst alleine ohne ihre Handys sind. Selbst, wenn sie erst einmal über Langeweile maulen. Außerdem legen wir ihnen nahe, sie nicht mit in die Schule zu nehmen.“ Da staune ich: „Damit seid Ihr aber Ausnahme-Eltern, oder?“ „Na, ja, durch meinen Beruf weiß ich wahrscheinlich mehr als andere, wie sehr das dauernde „Multi-Tasking“ die Fähigkeit zu denken einschränkt. Es macht nachweislich dümmer und zerstreuter“. „Aber Smartphones haben ja auch viele Vorteile“, gebe ich zu bedenken. „Ja, klar – und meistens nehmen unsere Kinder sie auch mit in die Schule. Aber wir versuchen, sie zum bewussten Umgang anzuregen“. „In der Schule erlebe ich auch manchmal Jugendliche, die bewusst keine Smartphones haben – da entwickelt sich vielleicht ein Gegentrend?“, gebe ich eine Beobachtung wieder. „Das wäre schön! Ich musste mich nämlich in der Schule meiner Kinder mit einem Lehrer auseinandersetzen, der mit seiner Klasse über Facebook kommuniziert hat. Ich finde, das geht allein schon deswegen nicht, weil niemand gezwungen werden sollte, in diesen Netzwerken Mitglied zu sein.“


Da sehen wir die junge Frau mit ihrem Baby zurückkommen. Das Baby schreit, aber die Frau telefoniert immer noch! „Eine Schülerin sagte mir neulich: Mit meiner Mutter kann ich nicht sprechen, die ist immer in Facebook!“, erzähle ich angesichts dieser Szene. Auf einmal fängt Thomas an zu lachen: „Kennst Du 'den kleinen Meisenmann' von Helge Schneider? Das hat er neulich bei seinem Konzert in Wetzlar gesungen: Ein Adler fliegt über der Fußgängerzone und entdeckt unten eine Frau mit Kinderwagen. Der Adler stürzt nieder - direkt in den Kinderwagen und klaut dem Baby das Brötchen, an dem es gerade nuckelt. Und die Mutter? Die merkt es überhaupt nicht, weil sie nur auf ihr blödes Smartphone glotzt. – Eigentlich ist das ja überhaupt nicht witzig, aber...“ Thomas kichert und steckt mich damit an: „Manchmal ist das wirkliche Leben fast so absurd wie Helge Schneiders Lieder.“

Beate Allmenröder

16. „Heinzelmännchen“ - Eilige Eltern und eifrige Kinder

„Uns hat ein tolles Buch geholfen“, erklärt Sophies Mutter.

(Foto: M. Ihle)

„Ihr dürft kommen!“ Sieben rotbackige Kindergesichter tauchen in der Tür des Seminarraums der Familienbildungsstätte auf, um die Eltern zum Essen zu rufen. Die hatten in den vergangenen zwei Stunden Küchenverbot. Eltern-Kinder-Seminar: “Wie vermitteln wir unseren Kindern Erfahrungen von Selbstwirksamkeit?“ Das Küchenverbot für Eltern hatte Frau Bernhard, die in der Küche die Kids anleitet, gar nicht geplant. Aber die 7 Kinder im Alter von 4 bis 9 Jahren waren sich sofort einig: Das Ansinnen der Eltern, die Kinder mal zwischendurch in der Küche zu besuchen, muss abgelehnt werden. Die Küche ist jetzt Kinderterrain! Eltern nicht zugelassen! Erst als ein wunderbares Frühstückbuffet fertig angerichtet ist, dürfen die Erwachsenen kommen, schauen, staunen – und genießen! Frau Bernhard lobt ausdrücklich die 9-jährige Sophie, die ihr in der Küche mit den vielen doch noch sehr kleinen Kindern eine echte Hilfe gewesen sei. „Man merkt, dass Sophie zu Hause oft in der Küche arbeitet! Ohne sie wäre das heute für mich schwer gewesen.“ „Bei uns muss immer der kochen, der zuerst zu Hause ist. Und das ist zweimal in der Woche Sophie“, erzählen die Eltern beim Essen.


Mein Part im Seminar ist es, die Gesprächsrunden der Eltern zu moderieren. Nachdem die Köstlichkeiten, die die Kinder unter Anleitung der Ernährungsfachfrau zubereitet hatten, alle verspeist waren, räumen die Kinder die Küche auf. Die Eltern setzen sich zur Auswertungsrunde zusammen.


„Selbstgebackene Brötchen, Kräuterquark, Marmelade… - toll, was die Kinder uns da aufgetischt haben!“ „Schön, zu sehen, wie stolz die Kinder waren!“ „Köstlich und gesund dieses Frühstück!“ „Ein schöner Vormittag, die Kinder waren beschäftigt und die Erwachsenen konnten sich mal in Ruhe unterhalten.“ Nachdem die Begeisterung ausgetauscht war, kommen auch Bedenken. „Hier kann man die Kinder kochen lassen, sie werden fachgerecht angeleitet, aber im Alltag habe ich doch keine Zeit dazu“, sagt eine Mutter. „Wenn ich es selbst mache, geht es schneller!“ spricht eine andere Mutter den typischen Satz aus, den wohl alle Eltern kennen. „Und das Chaos anschließend in der Küche? Nee, zu Hause will ich die Kinder nicht in der Küche haben!“ „Woher nehmen Sie die guten Nerven, wenn Ihre Kinder zuhause alleine kochen dürfen,“ werden Sophies Eltern angesprochen. „Was heißt hier dürfen? Wir haben die Kinder doch in die Welt gesetzt, damit sie uns den Alltag erleichtern. Kinderarbeit - nicht nur in der dritten Welt, ist meine Devise“ scherzt der Vater.


„Uns hat ein tolles Buch geholfen“, erklärt Sophies Mutter. „Bei der Verbraucherzentrale gibt es „Mahlzeit, Kinder“. Darin ist eine Tabelle, ab welchem Alter Kinder was können. Da steht, dass ein 3-jähriges Kind lernen kann, mit einem scharfen Messer umzugehen. Mit 8 Jahren kommen dort schon die letzten Küchenlektionen.“ „Ja, bei uns haben alle 3 Kinder von klein auf mitgeholfen – und ziemlich schnell ist das eingetreten, was wir ja auch heute erlebt haben: Wir wollen alleine kochen!“, erzählt der Vater weiter. „Du warst da ziemlich cool“, sagt nun Sophies Mutter. „Ich war ängstlicher als mein Mann – ich habe immer erst ein paar Mal mit den Kindern ausprobiert, ob sie wirklich schon mit heißem Wasser, heißem Fett, dem Mix-Stab usw. zu recht kommen. Aber mein Mann hat mich dann immer überzeugt, dass die Kinder ja auch einen eigenen Überlebenswillen haben. Und dass sie umso geschickter sind, je früher sie es üben.“ „Bis die Kinder in die Schule kommen, lässt man sie doch sowieso noch nicht so viel alleine. In dieser Zeit haben wir sie angelernt – und jetzt hat sich unser Einsatz voll amortisiert“. Sophies Mutter lacht: „So drückt es der Geschäftsmann aus. Aber es ist wahr: Wenn unsere Kinder im Alltag nicht selbständig mittun würden, könnten wir nicht beide voll berufstätig sein.“ Da fliegt die Tür auf und 7 Heinzelmännchen fegen herein: „Fertig aufgeräumt. Die Küche ist sauber!“ rufen sie durcheinander. „Zuhause mach ich morgen das Frühstück – alleine, aber Du sollst aufräumen“, ruft das Kind, dessen Mutter die Angst vor dem Küchenchaos hatte. Sophies Vater kommt ihr zu Hilfe: „Bei uns gilt für Kinder unter 6 Jahren Arbeitsteilung: Wer schon das Essen macht, muss nicht auch noch aufräumen.“

Beate Allmenröder

17. Vom Ende her denken

„Das gefällt mir: In Laubach gibt es eine Initiative, die Flüchtlingen die Möglichkeit gibt, zu arbeiten!“, sagt mein Freund Peter, der wach das Zeitgeschehen beobachtet. „Sonst sind Flüchtlinge ja zum Nichtstun verdonnert. Da sind sie endlich nach schrecklichen Erlebnissen in Sicherheit, viele schwer traumatisiert, dürfen aber mehrere Monate nichts tun! Was stabilisiert einen Menschen denn mehr als eine sinnvolle Aufgabe?!“, empört sich der Freund. „Wenn sie nicht schon psychisch krank sind, spätestens nach dieser Zeit sinnlosen Wartens werden sie es sein! Und dabei sind das häufig hochqualifizierte Menschen, die uns nicht zur Last fallen wollen und gerne etwas zurückgeben würden“.

„Wer keine Aufgabe hat, wird zur Aufgabe.“ Das gilt für alle Menschen. (Foto: M. Ihle)


Noch ehe ich ihm beipflichten kann, wechselt er das Thema: „Du sagst ja auch immer: Wer keine Aufgabe hat, wird zur Aufgabe. Aber dass Du das auf Kinder beziehst, fand ich seltsam.“

Er bezieht sich auf meine Artikel, die die Gießener Allgemeine im Frühsommer samstags veröffentlicht hatte. „Warum hast Du mit Deiner Reihe überhaupt aufgehört?“ „Na ja, der Beruf in der Schule geht vor. Da ist am Schuljahresende besonders viel los.“


„Kinder haben doch schon viele Aufgaben: Schule, Zimmer-Aufräumen, Sport-Training? Warum reicht Dir das nicht? Warum forderst Du in Deinen Texten, dass sie auch noch Hausarbeit machen sollen?“ nimmt er den Faden wieder auf. „Das ist wie bei den Flüchtlingen:“, entgegne ich. „Sie haben auch Aufgaben: Deutsch-Lernen, den Alltag organisieren, Kriegs- und Fluchterfahrungen verarbeiten... Warum sollen sie noch zusätzlich arbeiten, wie Du es forderst?“ „Weil es langfristig gesünder ist, wenn man das Gefühl hat, gebraucht zu werden. Weil es zufriedener macht, wenn man anderen etwas geben kann und nicht nur auf ihre Kosten lebt!“, antwortet Peter lebenserfahren. “Genau das gilt auch für Kinder. Ein Kind, das das eigene Zimmer aufräumen soll, murrt und hat keine Lust. Wenn Du ihm aber auf einem Straßenfest einen Korb in die Hand drückst und es bittest, die leeren Gläser und Flaschen bei den Leuten einzusammeln, arbeitet es stundenlang mit Eifer. Warum? Weil es etwas für andere tut! Weil sich Menschen über seine Arbeit freuen. Genauso kochen die meisten Kinder gerne. Oder mähen den Rasen... Aber oft lassen wir sie nicht. Weil wir Angst haben, dass sie sich dabei verletzen oder dass sie es nicht gut genug machen.“ „Oder weil wir sie schonen wollen“, fällt mir Peter ins Wort. „Bei uns war das der Hauptgrund. Wir wollten ihnen den Rücken für die Schule frei halten. Aber inzwischen ist mir deutlich geworden, dass wir zu kurzfristig gedacht haben. Wie die Politiker, die die Gesetze für die Flüchtlinge machen. Für das Arbeitsverbot gibt es sicherlich auch gute kurzfristige Gründe. Aber vom Ende her gedacht, ist das falsch. Bei meinen Kindern bin ich jetzt auch klüger: Nun, da sie flügge geworden sind, beklagen sie sich, dass ihnen so manche „Life-skills“ fehlen. Dass sie Einkaufen, Kochen und Haushaltsführung auch einüben müssen, das ist uns irgendwie gar nicht in den Sinn gekommen.“


„Eure Kinder sind ja gut geraten, das mit dem Haushalt werden sie schon noch lernen“, gebe ich ihm Rückmeldung zu seinem durchaus entzückenden Nachwuchs. „Und warum sind unsere „geschonten“ Kinder nach Deiner Theorie dennoch gut geraten?“, lästert er. „Ich vermute, weil Eure Kinder zwar wenig im Haushalt, dafür aber in anderen Bereichen Verantwortung übernommen haben: Ehrenamtlich im Sportverein, bei der Feuerwehr und im Schulorchester. Das sind auch Aufgaben, die regelmäßige Verlässlichkeit und Verantwortungsübernahme fordern und fördern! Die stolz und selbstbewusst machen. Die die Erfahrung vermitteln, schwierige Situationen und Herausforderungen mit eigener Anstrengung meistern zu können.“


„Etwas für andere tun, Verantwortung übernehmen, stolz sein können – all das fördert eine zufriedene Persönlichkeit. Das gilt für Flüchtlinge und für Kinder genauso wie für alle anderen Menschen auch.“, fasst Peter unser Gespräch gut zusammen. „Man muss eben nur vom Ende her denken!“

„Schreibst Du noch mehr Artikel?“ Mein Nicken macht Peter neugierig: „Um was wird es als nächstes gehen?“ „Über Deine schöne Formulierung: Vom Ende her denken. Ich lese nämlich gerade das Buch „Darm mit Charme“. „Aha, schönes Thema: Was hinten dabei herauskommt.“, verabschiedet sich mein Freund mit sprachspielerischem Schalk.

Beate Allmenröder



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18. Rohkost-Mandala und Gute-Laune-Party

„Was die Kinder selbst zubereitet haben, essen sie meistens gerne.“,

meint Lisa. (Foto: M. Ihle)

„Ich bin eine Einkaufswagen-Guckerin!“, so stellt sich Lisa (17 J.) zu Beginn des neuen Schuljahres bei einer Kennenlern-Übung in der Klasse vor. „Einkaufswagen-Guckerin???“ „Ich schaue beim Einkaufen immer in die Wagen der anderen Leute und bin fassungslos, was die alles kaufen.“, erklärt Lisa und ist bei ihrem Lieblingsthema. Sie kennt sich mit Ernährung so gut aus, als hätte sie ihr geplantes, ernährungswissenschaftliches Studium bereits abgeschlossen. Im Laufe des Schuljahres zeigt sie, dass sie ihre Kenntnisse für sich selbst konsequent umsetzt: Sie verspeist Unmengen an frischem Gemüse und vermeidet Weißmehl-Produkte, allein Vollkornprodukte enthält ihr Speiseplan. Zucker „kommt ihr nicht in die Tüte“. Während des Schuljahres erfahren wir immer wieder – gefragt und ungefragt – viele Details ihres ernährungsspezifischen Fachwissens.


Am Ende des Schuljahres ist Lisa Jahrgangsbeste in allen Fächern! Sie scheint dieses gute Ergebnis mit Fröhlichkeit und Leichtigkeit erreicht zu haben. Während die anderen Schüler und Schülerinnen oft über den Schulstress jammerten, wirkte Lisa meistens zufrieden und entspannt. Als ich ihr beim Abschied gratulierend die Hand schüttele, drängt sich mir unwillkürlich der Gedanke auf, ob ihre Fröhlichkeit und ihr gutes Zeugnis mit ihrer Ernährung zu tun haben. Eine gewagte These – ich weiß es wohl!


Da ich nun den Bestseller „Darm mit Charme“ von Giulia Enders gelesen habe, erscheint mir mein spontaner Gedanke bei Lisas Verabschiedung weniger abwegig. In diesem vergnüglich zu lesendem Buch beschreibt die junge Medizinerin, wie der Darm unsere Laune, unsere Leistungsfähigkeit und unser Denkvermögen beeinflusse. Das habe die Wissenschaft lange unterschätzt. Wie der Darm das tue, sei vor allem von unserer Ernährung abhängig. Was Giulia Enders so spannend wie wissenschaftlich erklärt, hat uns Lisa vorgelebt. Was die junge Wissenschaftlerin besonders eindrucksvoll beschreibt, ist, wie unser Darm von guten und von schlechten Bakterien besiedelt sei: Wenn da viele von den guten leben, geht es uns gut und wir sind guter Laune. Um viele von den guten Bakterien zu bekommen, müssen wir sie füttern. Auch mit Mikroben, wie sie sich in Joghurt, Sauerkraut und anderen fermentierten Lebensmitteln finden. Wenn wir aber Zucker und Weißmehl essen, dann freuen sich die schlechten Bakterien – und feiern eine ganz üble Party in unserem Darm! (Wer mehr erfahren will und keine Lust hat, viel zu lesen, kann sich das auch als Video im Internet ansehen.)


Dass gute Gesundheit langfristig von ausgewogener und vollwertiger Ernährung abhängt, wissen wir schon lange. Aber den Zusammenhang von Ernährung und Stimmung, Lebensgefühl und Erfolg macht Guilia Enders auf lustig zu lesende Weise noch einmal neu deutlich. Vielleicht kann man an Lisa sehen, was Peter Struck (nein, nicht der Politiker, sondern der Erziehungswissenschaftler) vor Jahren schon geschrieben hatte: „Viele Verhaltensauffälligkeiten von Kindern lassen sich allein mit Ernährung steuern und überwinden“.


Allein – wie bekommt man Kinder dazu, die gute Party im Darm zu bedienen? Lisa verrät mir gerne das „Rezept“ ihrer Eltern. Im Wesentlichen heißt es: Was die Kinder selbst zubereitet haben, essen sie meistens gerne. Und im Besonderen erzählt Lisa vom „Rohkost-Mandala“. Sie und ihre Geschwister „dürfen“ vor jeder Mahlzeit aus Obst- und Gemüsestücken einen bunten Teller legen. „Sie glauben gar nicht, was für Kunstwerke wir da immer aus Kohlrabi, Broccoli-Röschen, Kiwi-Scheiben, Radieschen, Apfelschnitzen usw. kreieren. So haben uns unsere Eltern schon von klein auf dazu gebracht, sogar rohen Blumenkohl und Sellerie zu essen“, gibt sie mir gerne die Idee ihrer Eltern preis. „Rohkost gibt es bei uns vor jeder Mahlzeit. Wenn es schnell gehen muss, dann machen wir halt kein Mandala daraus,“ fügt sie eifrig hinzu. „Geht viel schneller, als einen Salat zu machen. Und man hat immer was Gesundes im Bauch, bevor man etwas anderes isst.“ Beim Thema „Ernährung“ hat sie eine Mission.


Seit Lisas überraschender Selbstvorstellung schaue ich nun selber oft in die Einkaufswagen meiner Mitmenschen. Kein Wunder, dass wir Deutschen nicht unbedingt als bestgelauntes Volk gelten!

Beate Allmenröder

19. Helikopter-Eltern

„Habt ihr neulich zum Schulanfang das Frankfurter Helikopter-Eltern-Filmchen gesehen?“, fragt in gemütlicher Runde meine Freundin Karola. „Oh nein, bitte nicht schon wieder ein Erziehungsthema, liebe Karola“, antwortet Peter, den wir dafür lieben, dass er immer sagt, was er denkt. „Ich will wissen, was das für ein Film ist. Ich mag Karolas Erziehungstheorien,“ hält Uwe dagegen. „Du hast doch gar keine Kinder! Warum willst Du immer diese Erziehungsdiskussionen führen?“ wendet sich Gisela an Uwe. „Na, weil er keine Kinder hat, mag er diese Diskussionen,“ grinst Peter in die Runde.

Früh übt sich, wer auf eigenen Beinen stehen will (Foto: M. Ihle)


„Uns, die wir Kinder haben, deprimiert Karola mit dem, was sie sagt. Weil sie ja auch manchmal recht hat. - Also los, Karola, erzähl! Wir können Dich sowieso nicht abhalten“, charakterisiert Peter Karola treffend. Sie nimmt das nicht übel, sondern beginnt zu erzählen. „In einem kleinen Film wird gezeigt, wie Kinder alleine zu Fuß zur Schule kommen. Aber dann wird ein Junge von seinem Vater mit dem Hubschrauber gebracht. Und bald kreisen lauter Helikopter über dem Schulhof.“


„Und? Was soll das?“, will Gisela wissen. „Na, ja, es soll die Eltern darin erinnern, dass es viel sinnvoller ist, die Kinder alleine zur Schule laufen zu lassen, als sie mit dem Auto zu fahren,“ springt Uwe Karola bei. „Und das ist auch absolut sinnvoll: Kinder, die laufen, sind klüger, gesünder und ausgeglichener als diejenigen, die mit dem Auto gebracht werden.“ „Am meisten sind Kinder auf dem Schulweg übrigens durch die Eltern gefährdet, die ihre Kids mit dem Auto zu Schule bringen,“ weiß Peter. „Und warum zeigt man dann Hubschrauber und keine Autos?“ fragt wieder Gisela.


„Na – das kann ich Dir gerne erklären“ ereifert sich Uwe, von dem wir alle wissen, dass er Vermieter einer Studenten-WG ist. „Ich glaube, dass meine Studis besser mit dem Leben klar kämen, wenn sie nicht alle Helikopter-Eltern hätten. So nennt man doch die Eltern, die immer sorgenvoll über ihren Kindern kreisen und sofort da sind, wenn sich nur ein kleines Problemchen anbahnt. Übrigens sind alle vier schon wieder ausgezogen.“ Wir sind erstaunt: „Aber Du hast doch erzählt, dass Deine Studenten so nett sind“. „Ja, richtig nett, aber völlig hilflos. Zimmersuche, Mietvertrag, Einzug,… alles mit Eltern. Da war ich noch nicht misstrauisch. Das bin ich erst geworden, als ich gemerkt habe, dass sie keinerlei Verantwortung übernehmen: Mülleimer rausstellen, sauber machen, regelmäßig lüften,… haben sie alles nicht hingekriegt. Aber übers Wochenende wegfahren und 3 Tage und Nächte lang bei Minus 17 Grad das Fenster offen lassen – das ging!“ „Da hast Du sie rausgeschmissen?“ „Nee, war gar nicht nötig: Die eine hat ihr Studium nach 2 Monaten abgebrochen, der zweite wollte doch lieber zurück ins Hotel Mama, die dritte hat gemerkt, dass sie mit anderen nicht klarkommt und lieber alleine wohnen will. Der vierte – eigentlich traurig – ist wohl wegen einer Depression in der Klinik. – Den Auszug haben übrigens bei allen vieren auch wieder die Eltern gemacht.“


„Und was machst Du jetzt mit Deiner Wohnung?“ „Ich vermiete nur noch an Studenten, die ohne Eltern zur Besichtigung und zum Mietvertrag machen kommen.“ „Und wie findest Du die?“ interessiert sich Gisela. „Ich halte mich an die ausländischen Studierenden“, verrät ihr Uwe. „Seit 4 Monaten ist bei mir internationales Wohnen. Klappt prima.“ „Welche Erklärung gibt es denn dafür?“ verwundert sich Gisela.

„Ich vermute, sie sind zu Fuß zur Schule gelaufen“, meldet sich jetzt Karola, unsere Erziehungsexpertin, wieder zu Wort. „Du willst jetzt doch nicht behaupten, dass man Schulanfänger alleine zur Schule laufen lassen muss, damit sie als Studenten eine Wohnung finden?“, zeigt sich Gisela verdutzt. „Doch - genau das will ich behaupten!“, erklärt Karola ganz unbeeindruckt von unseren verblüfften Gesichtern. „Ich denke nämlich mal, dass genau das der Frankfurter Helikopter-Film ausdrücken will. Wobei es ja nicht ums Wohnung-Finden geht, sondern um das Alleine-mit-sich-und-anderen-Zurechtkommen und Nicht-beim-kleinsten-Problem-in-eine-Depression-verfallen. Das müssen die Kinder schon früh lernen!“ „Und die Eltern auch!“ seufze ich, die ich sehr gut weiß, wie gerne man die Kinder vor allen Problemen dieser Welt behüten möchte. Auch wenn sie schon groß sind. Uwe nickt mir zustimmend zu.

Beate Allmenröder



20. „Vom a. K. zum k. A.“*

Ein geschontes Prinzchen? (Foto: M. Ihle)

„Ich habe noch eine Idee für Deine Artikel“, berät mich ein Freund, der seinen Namen hier nicht genannt haben will. Der manchmal zum Sarkasmus neigt – und um dessen Rat ich nicht gefragt hatte. „Ich habe schon die Überschrift, nein, ich habe schon den ganzen Text: *Vom armen Kind zum kleinen Arschloch.“ Ich schaue ihn so empört wie fragend an. „Mehr braucht man doch eigentlich gar nicht zu sagen. Kennst Du sie nicht - diese Kinder und ihre Eltern?

Ach, wissen Sie: Mein armes Kind ist ein Trennungskind, es ist schwerst begabt, es ist unterbegabt, es hat eine Allergie, es hat Leserechtschreib-Schwäche, es ist hyperaktiv,


es hat ADHS, Dyskalkulie, es hat… ach was weiß ich…“, lästert er. Um eifrig fortzufahren: „Und dann werden diese Kinder von allem verschont und von vorne bis hinten bedient. So werden sie - das geht so schnell, so schnell guckst du gar nicht - zu ich-bezogenen, lebensunfähigen, wichtigtuerischen Prinzen und Prinzessinnen. Und die Eltern kommen ihr Leben lang nicht mehr aus der Rolle des allzeit dienenden Hofstaates heraus. Irgendwann hassen sie ihre eigenen Kinder. Spätestens ab der Pubertät.“ Ich nicke. Ja, doch, ich kenne sie. Solche Kinder und ihre Eltern. Schließlich arbeite ich in der Schule. „Du bist böse“, antworte ich. „Es gibt Kinder, die es wirklich schwer haben. Außerdem tun die Eltern es in allerbester Absicht.“ „Alle Eltern wollen das Beste für ihre Kinder. Aber es müsste ihnen rechtzeitig jemand sagen, wo das hinführt.“ „Da bin ich gespannt, was die Gießener Allgemeine sagt, wenn ich diese Lieferung abgebe. Heute mal keine 4000 Zeichen. Die Überschrift muss genügen. Tipp von einem Freund.“ Wir müssen lachen.


Aber mir fällt meine Zeit im Heilerziehungsheim im fränkischen Neuendettelsau (das Dorf heißt wirklich so und ist Standort verschiedener Institutionen der bayrischen Diakonie) wieder ein. Dort habe ich in einer Gruppe behinderter Kinder mein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert. Vor mehr als 30 Jahren. Die Gruppe wurde geleitet von Schwester Elisabeth – einer wunderbaren Frau. Von ihr habe ich zum ersten Mal den Satz gehört: „Tue nie etwas für ein Kind, was es auch selbst tun kann“. Ich war jung, voller Hilfsbereitschaft – und überzeugt, dass ich diesen „armen Kindern“ helfen könnte. So war ich sehr verblüfft, als mir am ersten Tag die 8-jährige Saskia mit einem strahlend-stolzen Lächeln einen Schokoladenpudding servierte. „Hab‘ fei ich gmacht“ erklärte mir das Down-Syndrom-Kind in breitem Fränkisch. Schwester Elisabeth – fast genauso stolz – wie das Kind, sah meinen skeptischen Blick: „Sie können das essen. Saskia ist Pudding-Queen. Sie kocht Pudding seit sie 4 Jahre alt ist. Mit Leidenschaft.“ Tatsächlich: ein köstlicher Pudding! So habe in diesem Jahr weniger ich den Kindern geholfen, sondern die Kinder – sowie ihre hochprofessionellen Erzieherinnen – haben mir geholfen. Nämlich zu verstehen, dass ein Mensch immer dann am glücklichsten wird, wenn er sein volles Potential entfalten kann. „Das gilt erst recht für diese Kinder!“ erklärte mir Schwester Elisabeth gleich zu Beginn den heilpädagogischen Grundsatz – und schaute mich intensiv an. Sie wollte wissen, ob ich das wirklich begriffen habe. „Potential haben sie meistens viel mehr – und oft auch ganz woanders - als Eltern und manche Lehrer vermuten.“ Saskia hat den Drei-Satz in ihrem ganzen Leben in der Theorie wohl nicht verstanden. Aber das Puddingrezept auf ein, vier oder 16 Personen umzurechnen - das hat sie schon als 8-jährige geschafft. Bis 200 zählen konnte sie nicht fehlerfrei. Aber man konnte sie mit 200 Mark zur Heimleitung schicken und sicher sein, dass sie die abliefert. Und dass sie die Bedeutung dieses Auftrages begreift. Entsprechend stolz und glücklich kam sie nämlich zurück.

In diesem Jahr habe ich mich oft zunächst gewundert, wenn nicht sogar erschrocken, wenn ich gesehen habe, welche hohen Anforderungen die Betreuerinnen an die Kinder gestellt haben. Um dann gegen Ende des Jahres genauso so stolz zu sein wie Schwester Elisabeth, wenn ich gesehen habe, dass „unsere armen“ Kinder so manches früher konnten als „normale“ Kinder.

„Siehst Du, sag ich doch“, meint der Freund, nachdem ich ihm meine Erinnerungen geschildert habe, „wer sein Kind auch in der Pubertät noch lieben will, sollte es von Anfang an nicht schonen. Puddingkochen mit 4 Jahren – das ist Hoch- und Minderbegabten-Förderung in einem.“

Beate Allmenröder

21. Am Punkt des geringsten Unbehagens

„Nein! Heute habe ich wirklich keine Lust auf Kinder!“ Das ist mein erster Gedanke, als ich beim Betreten des Wohnzimmers das kleine Kind erblicke. Ich bin einfach zu erschöpft...

 

„Zum gemütlichen Kaffeetrinken im Kreise lieber Freundinnen“ war ich eingeladen. Den Nachmittag hatte ich mir von allem freigehalten, weil wir im Alltag so wenig zum Miteinander-Schwätzen kommen. Und jetzt hat Susanne ihr kleines Kind mitgebracht. Das passt mir gar nicht.

Das hört sich gut an. Aber in der Praxis?“ (Foto: M. Ihle)


Am Ende des Nachmittags denke ich anders! Mein Sinneswandel beginnt schon, als Mäxchen mir freundlich grinsend entgegenkommt und mir sein Händchen zur Begrüßung entgegenstreckt. Das Kind ist 17 Monate alt. Kurze Zeit darauf beobachte ich, wie es mit einem trockenen Brötchen aufs Sofa krabbelt, um es sich dort gemütlich zu machen und still am Brötchen zu mümmeln. Ich kann daran nichts Falsches entdecken, aber als seine Mutter das sieht, bittet sie ihn ganz freundlich, herunterzukommen und sich auf einen Stuhl zu setzen. „Du machst sonst das Sofa schmutzig“. Das Kerlchen erscheint mir winzig und ich denke mir, dass es das jetzt nicht verstanden hat. Aber es reagiert sofort. Genauso mühsam, wie es gerade das Sofa erklommen hat, beginnt es – das Brötchen vorsichtig in einer Hand haltend – wieder hinabzuklettern. In aller Seelenruhe - und offensichtlich im Wissen, dass seine Mutter das kein zweites Mal sagen wird.

 

Das Kind ist ein echter Wonneproppen. Es gibt noch mehrere solcher Situationen am Nachmittag. Die Mutter hat ihn im Blick und schreitet ohne aufzustehen – freundlich, aber klar - bei kaum erkennbarem Fehlverhalten ein. Max reagiert sofort und scheinbar stoisch. Er kommuniziert freundlich und entspannt mit uns, den für ihn fremden Frauen, und kichert ausgelassen bei Hoppehoppereiter. Er stört und quengelt nicht, zieht unsere Aufmerksamkeit höchstens mit seiner Fröhlichkeit auf sich. So ist er sogar eine echte Bereicherung dieses Frauennachmittags, ohne sich dabei in den Mittelpunkt zu schieben. Er ist einfach dabei als einziger „Mann“ beim Frauenkränzchen und lässt uns schwätzen und das Miteinander genießen. Selbst seine Mutter kann sich den Frauengesprächen widmen.

 

Beim Abschied spreche ich Susanne auf ihren wohlerzogenen Sohn an. Und Karin, die im Flur dabeisteht, sagt: „Du bist schon ganz schön streng mit Deinem Sohn.“ „Weil ich schon so viele nervige Kinder erlebt hatte, wollte ich erst gar keine Kinder haben.“, erklärt Susanne. „Das hat mich richtig belastet, so dass wir während der Schwangerschaft nach Ursachen und Lösungen gesucht haben. Ich wollte, dass sich mein Kind so benimmt, dass es mir eine Freude ist.“ „Das wollen doch alle Eltern!“, denke ich nur. „Und dann hat mir meine Hebamme einen Satz mit auf den Weg gegeben, der sich bisher bewährt hat: 'Achte auf Dein Unbehagen!', hat sie gesagt. 'Wenn Du beim Punkt des geringsten Unbehagens agierst, dann wird Dein Kind schnell wissen, was richtig und was falsch ist, und in Dir staut sich kein Genervt-Sein und keine Wut auf. Wenn es den Eltern gut geht, geht es auch den Kindern gut.“

 

Karin und ich sind beeindruckt von dieser pädagogischen Theorie. Das hört sich gut an. Aber in der Praxis? In meine skeptischen Gedanken meint Karin: „Ich muss schon sagen, dass Ihr, Du und Max, wirklich einen ausgeglichenen Eindruck macht.“ - und bestätigt damit auch meine Beobachtung. „Am Punkt des geringsten Unbehagens agieren!“, wiederhole ich. „Ich kenne den Satz aus dem Frauen-Selbstverteidigungstraining“, meint Karin. „Interessant!Besteht nicht das ganze Mutter-Sein aus Selbstverteidigung?“, kichert Susanne. „Meistens schlucke ich erst mal alles, was mir nicht passt, runter, weil ich ja nicht immer die strenge Meckertante sein will. Irgendwann platze ich dann vor Wut. Und ärgere mich dann mehr über mich als über meine Kids. So laufe ich dann als überforderte Mutter mit schlechtem Gewissen durch die Welt.“ „Ja, diesen Punkt nicht zu übergehen, fällt mir auch nicht immer leicht.“, erläutert Susanne. „Zuerst dachte ich, Max sei doch noch viel zu klein. Und er macht das ja auch nicht extra... So habe ich dann mein Unbehagen oft übergangen. Aber inzwischen gelingt mir das schon besser: Ich weise ihn nur ganz ruhig auf die Störung hin – und uns beiden geht es damit ganz ok...“

 

Beim Abschied wirken Susanne und ihr Mäxchen recht zufrieden. „Wenn es den Eltern gut geht, geht es auch den Kindern gut...“, murmele ich auf dem Nachhauseweg.

 

Beate Allmenröder  (4. April 2015)

1. Verliebte Spaghetti - Von Alltagskompetenzen und Selbstwirksamkeit

Richtige Mitarbeit im Haushalt macht Kinder stolz und selbstbewusst (Foto: M.Ihle)

Vor vielen Jahren in Heidelberg: Ein sehr sympathischer, junger Mann hat mich zum Essen in sein Studenten-Dachzimmer eingeladen. Wir plaudern angeregt, auf der Kochplatte köchelt es. Immer wieder einmal rührt der junge Mann im Kochtopf – nach einiger Zeit fragt er: „Jetzt kochen die Spaghetti schon fast eine ganze Stunde und immer noch ist Wasser im Topf: Wie lange muss man Nudeln denn kochen?“

 


30 Jahre später: Meine Söhne machen ihre ersten WG-Erfahrungen. Ich habe viele Jahre des Unterrichtens in einer Berufsschule hinter mir. Meine Söhne erzählen, dass es mit den Haushaltserfahrungen ihrer Mitbewohner_innen nicht besser geworden zu sein scheint. Immer noch so, wie ich es damals erlebt habe. In der Berufsschule erlebe ich immer wieder Schüler_innen, die offensichtlich kaum Kocherfahrungen haben: Bei Selbstversorger-Klassenfahrten ermöglichen wir offensichtlich manchen jungen Erwachsenen beim Küchendienst den Erstkontakt mit dem ungekochten Lebensmittel.

 

So sitze ich jetzt wieder in einem Zimmer fast unter dem Dach in einer Universitätsstadt: Dieses Mal in Gießen im Zimmer von Frau Professor Uta Meier-Gräwe, Haushalts- und Familienwissenschaftlerin. Ja - die Wissenschaft habe es festgestellt, sagt sie, mit den Haushaltskenntnissen junger Männer sei es seit meinen ersten Begegnungen als junge Studentin nicht besser geworden. Im Gegenteil: Die Alltagskompetenzen junger Männer, aber auch die junger Frauen, seien seitdem messbar gesunken. Auf das berufliche Leben vorbereiten – das wollen Kitas, Schulen und Universitäten. Aber all das andere: Sich selbst und eine Familie gesund ernähren, einen Haushalt führen, Geld geschickt einteilen, eine Lampe aufhängen, Reparaturen im Haushalt erledigen - das wird nirgendwo systematisch gelehrt und gelernt. Ob das nicht mindestens genauso wichtig sei im Leben? fragt die lebenserfahrene Professorin. Nicht wenige junge Ehen scheiterten nämlich auch am Ungeübt-Sein im Haushalt und am Stress, der daraus entsteht.

 

Und – fährt Frau Prof. Meier-Gräwe fort – eine andere Folge ist dann doch auch, dass die Kinder nicht gesund ernährt sind und viele Krankheiten alleine dadurch entstehen.

 

„Mama, wir haben das mit dem Kochen und Putzen doch auch irgendwie gelernt. Du solltest vielleicht mal aufschreiben, wie du das gemacht hast“, schlagen mir meine Söhne vor. Ja – mit Mutterstolz – oder Mutterblindheit? – bilde ich mir ein, dass ich meine Jungs diesbezüglich gut aufs Leben vorbereitet habe. Dank guter Freundinnen, Nachbarn und anderer Unterstützer! Durch glückliche Zufälle bin ich immer wieder Menschen begegnet, die keine Scheu hatten, mich – oft genug gegen meinen anfänglichen Widerstand! – darauf hinzuweisen, wie wichtig es sei, die Kinder immer altersgerecht an familiären Aufgaben zu beteiligen.

 

Bevor ich mich ans Aufschreiben gemacht habe, habe ich dann also Schüler und Schülerinnen sowie Kinder und Jugendliche in meinem persönlichem Umfeld bewusst beobachtet, habe vieles gelesen und mit pädagogischen und psychotherapeutischen Fachleuten gesprochen. Inzwischen bin ich überzeugt, dass die regelmäßige Mitarbeit im Haushalt einige wichtige Funktionen beim Heranwachsen hat: Nicht nur, dass die Kinder die Alltagskompetenzen erwerben, die ihnen später einmal das selbständige Leben ermöglichen. Es trägt offensichtlich auch wesentlich zu ihrer psychischen Stabilität bei, wenn Kinder Aufgaben übernehmen, die in ihrem sozialen Umfeld von Bedeutung sind. Diese Erfahrungen von Selbstwirksamkeit helfen, dass sie nicht zuletzt unproblematischer durch die Pubertät kommen. Außerdem entwickeln sie körperliches Geschick, Kreativität und stärken ihre kognitiven Fähigkeiten durch verschiedene Alltagsaufgaben. So dass – ich wage die Behauptung – das sogar häufig positive Auswirkungen auf die schulischen Leistungen hat.

 

Ich werde also hier in der nächsten Zeit – wie meine Söhne mir vorgeschlagen haben – versuchen, Folgendes in kleinen anschaulichen Geschichten aus unserer persönlichen Erfahrung aufzuschreiben:

  •  Wie können berufstätige Eltern es schaffen, ihre Kinder an den alltäglichen Familienaufgaben zu beteiligen?
  • Welche Aufgaben und wie viel Selbstständigkeit sind altersgerecht?
  • Wie lehren wir sie, sich gesund zu ernähren?
  • Wie können wir dabei auch gerade die Söhne miteinbeziehen, damit sie später einmal Partner werden, die in der Bedienung eines Putzgerätes, einer Waschmaschine und eines Kochlöffels genauso fit sind wie in der ihrer elektronischen Geräte?
  • Und vor allem: Warum und wie hilft all das dazu, dass Kinder stark, Eltern entspannt und Familien fröhlich bleiben bzw. werden?

Beate Allmenröder (15. November 2014)

2. Mein Bekehrungserlebnis - Lukas und das Kehricht-Häufchen

Zu Gast bei meiner Freundin Karola und ihren beiden Kindern. Lange ist die Trennung von ihrem Mann noch nicht her. Der 5-jährige Lukas ist schlecht drauf – und meine Freundin scheint mit den Nerven schon ziemlich am Ende.

„Das Kind treibt mich in den Wahnsinn“, stöhnt sie. „Ich soll die kids mithelfen lassen, hat mir die Familientherapeutin gesagt. Wunderbare Idee! Mein Knabe tut aber nicht, was er tun soll!“ „Was soll er denn machen?“ frage ich. „Sollen ist eigentlich der falsche Ausdruck. Er durfte sich ja aussuchen, was er machen will. Gestern war er noch ganz begeistert von der Idee, die Treppe zu fegen.“

„Da war ja richtig viel Dreck!“, zeigt Lukas uns stolz das Kehrblech. (Foto: M.Ihle)

 


„Mensch, dein Kind hat gerade eure Trennung hinter sich. Da musst du ihm auch mal zugestehen, dass es ihm nicht so gut geht.“ Karola schaut gequält: „Ja, wahrscheinlich hast du recht. Dann mache ich es nachher schnell selber. Aber jetzt koche ich uns erst mal einen Kaffee.“ Da hören wir schon wieder Geschrei und Gejammer aus dem Kinderzimmer. Irgendeiner Eingebung folgend ruft Karola genervt – und entsprechend energisch - ihrem Kind dann doch zu: „Kehre jetzt endlich die Treppe! Du hast es dir doch selber ausgesucht! Tu es einfach!“

 

Daraufhin verschwindet Lukas tatsächlich – wenn auch wie ein Rohrspatz schimpfend – mit Kehrblech und Handfeger im Treppenhaus.

 

Dann das Wunder: 20 Minuten später geht die Tür wieder auf, vor sich her trägt Lukas das Kehrblech mit dem Kehricht, strahlt – und erinnert in Nichts an das missgelaunte Kind, als das er zu seiner Arbeit gestartet war. „Da war ja richtig viel Dreck!“ hält er uns stolz seine „Beute“ unter unsere Nasen (die eigentlich gerade am frisch gebrühten Kaffee und den Kuchenstückchen schnuppern wollten). „Schaut mal: Hier die Hundehaare von Frau K’s Hund! Und hier die Erdbröckelchen: Die sind bestimmt von den Schuhen von Frau K. Ich habe es mit den Schuhsohlen verglichen, die vor ihrer Türe stehen. Die Form passt genau!“ So genau wollen wir es eigentlich gar nicht wissen. „Aber ist doch interessant, was Kinderaugen so alles sehen“, sagt meine Freundin Karola, während Lukas den Schmutz zum Mülleimer trägt. „Frau K. tut nämlich immer so, als seien es die Kinder, die den Schmutz im Treppenhaus hinterlassen. Alleinerziehende Nachbarin – auf die kann man’s ja schieben.“ Lukas kommt wieder angesprungen: „Ich habe alles aufgeräumt, darf ich jetzt Kuchen essen? Und dann gehe ich in mein Zimmer zum Lego-Bauen!“ Während er zufrieden seinen Kuchen verspeist, plappert er stolz: „Herr F. hat gesehen, dass ich die Treppe sauber mache. Er hat gestaunt, dass ich das schon kann.“

 

Ein ausgeglichenes Kind verschwindet im Kinderzimmer. Von dort hören wir nur noch fröhliche Spielgeräusche.

 

Wir sind immer noch verblüfft: Diese kleine Aufgabe zu erledigen, hat das Kind wirklich verwandelt. Karola ist jetzt auch ganz entspannt und froh, dass es ihrem Söhnchen offensichtlich viel besser geht. „Weißt Du, wenn ich das nicht durchgesetzt hätte und vielleicht sogar noch selber gefegt: Ich hätte mich die ganze Zeit auch über Lukas geärgert. Und dann wären mir irgendwann heute noch die Nerven durchgegangen. Ich weiß es genau.“ Sie formuliert eine Erfahrung, die ich nur allzu gut kenne.

 

Als ich mich einige Zeit später verabschiede, ist da immer noch ein vergnügt und zufrieden spielendes Kind, das seiner Mutter und mir wunderbar ungestörte Zeit zum Schwätzen gelassen hat. Beim Tschüss-Sagen schaut er vom Lego-Spiel auf: „Wenn du jetzt die Treppe runtergehst, siehst du, wie schön ich sauber gemacht habe. Pass auf, dass du die Treppe nicht wieder schmutzig machst!“

 

Auf dem Heimweg denke ich: So also funktioniert familiäre „Ergotherapie“! Mit seinem stolzen Strahlen über dem Kehrichthäufchen hat Lukas mir diesen Tag zum „Be-kehr-ungserlebnis“ werden lassen“.

 

Diesen „Trick“ habe ich seitdem oft angewandt, wenn es darum ging, meine Kinder aus Stimmungslöchern herauszuholen. Eine befriedigende Arbeit hat sich oft als ein guter Trost erwiesen. Und genervte Auseinandersetzungen zwischen Mutter und Kindern gab es seitdem seltener.

Beate Allmenröder

3. Wer selbst entscheidet, hat mehr Spaß am Arbeiten

Jedes Kind sucht sich seine Aufgaben aus und macht sich den eigenen Wochenplan. (Foto: M.Ihle)

Ich treffe meine Freundin Karola. „Hey, du hast Zeit zum Spazierengehen?“ Sie guckt fröhlich: „Die Kinder arbeiten zu Hause – und ich habe frei.“ Ich staune neidisch. „Wie hast du das denn geschafft?“ „O, das klappt inzwischen ziemlich gut, dass die Kinder ihre Pflichten erfüllen. – Soll ich dir unser Geheimnis verraten?“ Darauf bin ich sehr erpicht. Bei uns ist es nämlich ein ewiger Kampf, die Kinder zu irgendeiner Mithilfe zu bewegen. „Ja, sag schnell: wie schaffst du das? Ich bin nämlich in Eile. Mir hilft zu Hause keiner.“ „Das Zauberwort heißt Pläne. Jedes Kind hat seinen Wochenplan.“


Da staune ich erst Recht. Ich dachte, mit dem Ende der DDR sei die Planwirtschaft vorbei. Von Plänen halte ich irgendwie nicht so viel. Aber Karola ist eine pfiffige Frau und hat mir schon öfter verblüffenden Rat gegeben. So eile ich nach Hause – und setze mich noch am gleichen Tag an den PC.

 

Ich gebe mir Mühe: Eine wunderbare Tabelle, lustige Symbole (meine Kinder können wie Karolas Kinder noch nicht lesen). Dann zeige ich mein Werk stolz der Familie. Die Begeisterung hält sich in Grenzen – und es zeigt sich: die Arbeiten werden nicht erledigt!

Irgendetwas muss ich falsch gemacht haben!

 

Ich schnappe mir also meine wunderbaren Pläne und gehe damit zu Karola: sie schaut sie an und grinst: „Stell dir vor, dir hängt jemand einen solchen Plan vor die Nase: Hättest du Lust, den abzuarbeiten?“ Ich ahne worauf sie hinauswill, versuche aber trotzdem meine schönen Pläne zu verteidigen: „Wenn es doch nur so wenig wäre, wie die Spülmaschine ausräumen und den Müll wegbringen...“ „Siehst Du“, sagt sie, „das ist schon dein dritter Fehler“.

 

Ich frage verwirrt. „Drei Fehler?“ „Komm mit, ich zeig dir mal Lukas‘ und Julchens Pläne“. Am Küchenschrank hängen zwei krakelige Pläne: Auf Jules Plan ist irgendetwas Monströses zu sehen, das ich nicht erkennen kann. Außerdem erahne ich einen Eimer mit Schrubber, Socken, ein T-Shirt und eine Münze. Ich sehe noch irgendetwas Buntes und ein paar Striche. Da kommt Jule auch schon angerannt: „Soll ich dir meinen Plan mal erklären“, fragt die 6-jährige eifrig. „O ja, gerne!“ „Also: Am Samstag backe ich Brötchen“, sie zeigt mit glänzenden Augen auf das braune Monstrum „und mache mit Lukas Frühstück – ganz alleine! Am Sonntag sortiere ich die Socken, am Montag wische ich die Küche und den Flur, am Dienstag bügele ich“ – sie zeigt auf das T-Shirt. „Am – was ist das jetzt für ein Tag?“ stockt sie und zeigt auf das Wort, das wohl Mittwoch heißen soll. Ich helfe ihr. Sie fährt fort: „Am Mittwoch gehe ich einkaufen.“ „Und was machst du am Donnerstag?“ Ich kann nicht erkennen, was da zu sehen ist. „Donnerstag ist doch heute! Riechst du es denn nicht?“, fragt sie entgeistert. Doch: Es duftet verlockend nach Pizza. „Heute habe ich die Pizza gemacht. Ganz alleine den Teig - und dann alles draufgelegt“. Ach ja, das Bunte ist die Pizza! Und die Striche entpuppen sich als Treppengeländer, das sie morgen vom Staub befreien wird. „Das ganze Treppengeländer!“


Da bin ich jetzt ja echt verblüfft! Und schaue Karola fragend an. „Das kann sie schon alles?“ „Ja, klar: sie ist SECHS JAHRE alt!“ Julchen guckt etwas beleidigt: „Klar kann ich das!“ Aber stolz ist sie doch! „Erkennst du deine drei Fehler?“ fragt meine Freundin. „Deine Aufgaben sind zu leicht! Spülmaschine ausräumen und Müll wegbringen – das machen Kinder freiwillig nur so lange, wie sie es noch nicht können. Womit wir beim zweiten Fehler wären: Die Aufgaben haben sich die Kinder nicht selbst ausgesucht. Besprich mit ihnen, was sie machen wollen. Was sie sich selber ausgesucht haben, werden sie lieber machen.“ „Und mein dritter Fehler“, sage ich jetzt selbst, „war, dass ich die Pläne nicht die Kinder habe selber malen lassen.“ Karola nickt.

 

„Bist du auf das alles selber gekommen?“ frage ich staunend. „Nee“, lacht sie, „aber unsere Familientherapeutin ist klug. Ich verrate dir noch einen Tipp von ihr: Lass die Kinder immer mindestens zwischen zwei Aufgaben wählen. Wenn du mal nur eine Sache hast, die unbedingt gemacht werden muss, dann frag sie wenigstens, ob sie es gleich oder später machen wollen.

 

Da höre ich Julchen rufen: „Pizza ist fertig.“

Beate Allmenröder

4. Frische Brötchen - ein ganz irrer Duft

„Morgen backen wir die Brötchen“ ruft mein 4-jähriger. „Und zwar ganz alleine. Du brauchst uns nicht zu helfen.“ Was ist das denn jetzt für ein Einfall?? „Nein, mein kleiner Naseweis, dazu bist du noch zu klein“. „Ich bin kein Naseweis und ich bin auch nicht zu klein.“ „Du kannst doch noch keine Brötchen backen! Du weißt gar nicht, wie das geht. Außerdem ist das gefährlich mit dem heißen Ofen.“ „Doch, ich weiß, wie das geht. Wir haben das mit Lukas und Jule auch alleine gemacht“, erklärt er keck.

 „Morgen backen wir die Brötchen“ ruft mein 4-jähriger.

  (Foto: M.Ihle)


„Wie habt ihr es denn gemacht?“ frage ich und stelle mir vor, dass sie wohl Aufbackbrötchen in den Ofen geschoben haben. Meine beiden durften nämlich in der Nacht zuvor bei meiner Freundin Karola und ihren Kindern übernachten. Mein Zweitgeborener hebt zu einer ausführlichen Erklärung an: „Also, erst einmal haben wir am Abend, Mehl und Hefe und Wasser gemischt.“ Einen Hefeteig haben die Kinder gemacht?? „Und dann haben wir am Morgen noch mehr Mehl reingemacht und dann geknetet und geknetet. Dann haben wir die Brötchen gemacht. Die mussten dann noch laufen. Und dann haben wir sie gebacken.“ Laufen? „Meinst du, die Brötchen mussten gehen?“ „Ja, sage ich doch! 30 Minuten. Jule hat es auf dem Küchenwecker eingestellt.“ „Wie? War Jules Mama nicht dabei?“ „Nein, wir haben das alleine gemacht. Habe ich doch schon gesagt. Karola hat geschlafen. Die ist erst aufgestanden, als das ganze Frühstück fertig war. Wir haben sogar den Kaffee gekocht.“

 

So ganz kann ich nicht glauben, was mir mein Kleiner da erzählt: Ich rufe also meine Freundin an, um die Wahrheit aus Erwachsenen-Mund zu hören. „Das hat dir dein Söhnchen alles völlig korrekt berichtet.“ Ich bin empört: „Du kannst doch die Kinder nicht alleine mit dem heißen Ofen hantieren lassen!“ „Beruhige dich – und höre mir gut zu, wie diese Brötchen funktionieren. Die kann nämlich tatsächlich dein Kleiner auch schon alleine machen. Du wirst begeistert sein und nie wieder andere Frühstücksbrötchen wollen. Nicht nur weil sie so gut schmecken, sondern vor allem, weil du dann an Wochenend-Morgenden ausschlafen kannst.“ „Na, dann erkläre mir mal diese Wunderbrötchen“, bitte ich – sehr skeptisch.

 

„Am Abend verrührt ihr 2 bis 3 Tassen Mehl in einer großen Schüssel mit einem Tütchen Trockenhefe und 2 Teelöffeln Salz und fügt dann soviel Wasser dazu, bis es ein flüssiger Brei ist. Tuch drüber, fertig.“ Sie fährt fort: „Am Morgen rühren die Kinder mit einem Holzlöffel Mehl in den Brei, bis er etwas trockener ist. Dann kneten sie mit den Händen den Teig fertig. Und zum Schluss formen sie die Brötchen und setzen sie auf ein Backblech mit Backpapier. Und jetzt…“ fährt sie fort – „höre mir gut zu: dann schieben die Kinder die Brötchen in den kalten Ofen. Sie stellen den Küchenwecker auf 30 Minuten. Und wenn der Wecker klingelt, stellen sie den Herd auf 180 Grad und den Wecker auf 25 Minuten.“ Sie wartet einen Moment meine Reaktion ab, um dann doch selber weiter zu reden: „Hast du es gemerkt? Sie haben gar nichts mit dem heißen Ofen zu tun – bis die Brötchen fertig sind.“

 

„Gell, wir dürfen morgen Brötchen backen?!“, umspringen mich meine beiden, kaum dass ich den Hörer aufgelegt habe. „Wir haben bei Jule und Lukas genau gesehen, wie man das machen muss. Du musst uns nur noch zeigen, wie viel Kaffeepulver wir in die Kaffeemaschine machen müssen. Dann braucht ihr erst aufzustehen, wenn das Frühstück fertig ist.“

Die Vorstellung, in Ruhe auszuschlafen, ist sehr verlockend. „Na gut.“

 

Am nächsten Morgen hören wir – zwei Stunden später als gewohnt – die ersten lauten Töne: „Frische Brötchen – ein ganz irrer Duft“ singt die Spitzmaus von der Kinder-CD („Schlapps und Schlumbo“ von Reinhard Lakomy/Monika Ehrhardt.) „Was schnuppert so lecker, so herrlich nach Bäcker…“ Und da stehen auch schon vorm Elternbett zwei „Nase-Weiße“: Zwei einigermaßen bemehlte Kinder mit roten Backen und leuchtenden Augen. „Ihr sollt jetzt aufstehen, dass Frühstück ist fertig“, ruft das 4-jährige Mehlmonsterchen „Hört ihr das Lied?! Das passt genau“, kräht das 6-jährige Mehlmonsterchen.

 

Meine Freundin Karola hatte nicht zu viel versprochen: Dieses Brötchen-Rezept ist ein wahres Wunderrezept: die Brötchen köstlich, das Frühstück friedlich, die Kinder glücklich, die Eltern ausgeschlafen. Dafür haben wir Erwachsenen das kleine Küchenchaos, das in der Tat entstanden war, gerne aufgeräumt.

 

(Bemerkung zum Brötchen-Backen: Wenn die Kinder sich das Brötchen-aus-dem-heißen-Ofen-holen noch nicht zutrauen, können es die Erwachsenen machen. Die Backzeit kann je nach Ofen und Brötchengröße etwas variieren. Und: Bevor man die Kinder alleine backen lässt, das Rezept einmal mit den Kindern zusammen ausprobieren. – Für das Rezept braucht man ca. 500 – 800 g (Vollkorn-) Weizen- oder Dinkelmehl, Wasser, ein Tütchen Trockenhefe und 1-2 Teelöffel Salz. Wenn man möchte: Zum Verzieren Sonnenblumenkerne, Sesam, etc.)                              Zum Rezept =>

Beate Allmenröder

5. Das kleine saure Gürkchen - Die Mitarbeit der Kinder ernst nehmen

Unser Blick fällt wieder auf unser kleines, trauriges Gürkchen. (Foto: M.Ihle)

Gut gecoacht von meiner Freundin Karola funktioniert die Mitarbeit meiner Kinder im Haushalt seit ein paar Wochen gut: Die Kinder halten sich an ihre selbst gestalteten Pläne und erledigen ihre selbst gewählten Arbeiten.

Doch schneller als befürchtet kommt der Abend des Tages, an dem weder mein Großer die Milch eingekauft hatte, wie er es sich vorgenommen hatte, noch mein Kleiner unsere geschnitzten, antiken Holzstühle mit seinen kleinen Fingerchen vom Staub befreit hatte.


Gut gecoacht von meiner Freundin Karola funktioniert die Mitarbeit meiner Kinder im Haushalt seit ein paar Wochen gut: Die Kinder halten sich an ihre selbst gestalteten Pläne und erledigen ihre selbst gewählten Arbeiten.

Doch schneller als befürchtet kommt der Abend des Tages, an dem weder mein Großer die Milch eingekauft hatte, wie er es sich vorgenommen hatte, noch mein Kleiner unsere geschnitzten, antiken Holzstühle mit seinen kleinen Fingerchen vom Staub befreit hatte.

 

Für diese Situation hatte mir Karola noch keinen Rat gegeben. Ich selbst hatte in letzter Zeit gespürt, dass ich meine Kinder nicht mehr „schimpfen“ mochte, seit sie so regelmäßig Dinge erledigten, die mir eine echte Entlastung waren. Nicht nur, dass es mich „gut gestimmt“ machte. Es hatte sie selbst auch verändert: sie waren vernünftiger und selbstbewusster und auf eine gute Art „reifer“ geworden. Erst viel später habe ich beim „Erziehungsguru“ Jesper Juul dafür das schöne Wort „Gleichwürdigkeit“ gelesen. Wenn sie so kleine emsige Arbeiter waren und mit Eifer ihre Aufgaben erledigten, dann ließ sich dieses „Gleichwürdigsein“, das Juul im Umgang mit Kindern vorschlägt, richtig spüren.


An diesem Abend allerdings steigt Ärger in mir auf – und ich bin mir sehr bewusst, dass es keine Alternative ist, über ihre Nachlässigkeit einfach hinweg zu gehen. Eine Maßregelung nach dem Prinzip „Wenn ihr nicht, dann…“ kommt aber irgendwie auch nicht in Frage. Guter Rat ist teuer.


Ich schaue mich lustlos in der Küche um, denn beim Familienrat war auf meinem Arbeitsplan für heute „Abendessen machen“ gelandet. Mein Blick fällt auf einen angeknabberten Brötchenrest und auf ein einzelnes, winziges Cornichon, das einsam im trüben Essigwasser schwimmt. Da packt es mich und ich stelle das Gurkenglas auf den Tisch, lege den ärmlichen Brötchenrest daneben und rufe die Kinder zum Essen. Sie setzen sich: „Hey, Mama, was soll denn das?“ „Wenn ihr eure Aufgaben nicht macht, habe ich auch keine Lust.“ Sie schauen mich lange an, sie schauen mich bange an. Wie das Meerschweinchen im Gedicht von Joachim Ringelnatz , das wir gerade gemeinsam auswendig gelernt hatten. Dessen bange Frage war: “Wo ist das Meer?“ Die bange Frage meiner Kinder ist nicht nur: „Wo ist das Essen?“, sondern auch „Wo ist die Mama, auf die man sich verlassen kann?“ Sie spüren: Die Lage ist ernst.


In dem Augenblick kommt uns auf wundersame Weise das Schicksal zu Hilfe: Wir können nämlich durch unser Küchenfenster auf den Esstisch des Nachbarhauses schauen: Dort sitzen Vater und Söhnchen erwartungsvoll am Tisch und die Mutter bringt gerade - ein volles Gurkenglas! Es folgt ein Korb mit Brötchen. Dann bringt sie eine Platte vollgeladen mit Wiener Würstchen herbei. Wir starren indiskret – und hungrig. Dann fällt unser Blick wieder auf unser kleines, trauriges Gürkchen auf dem Boden des trüben Glases – und wir brechen alle in Lachen aus.


Schnell machen wir dann gemeinsam Abendbrot – und danach erledigen die Kinder ihre Pflichten.


Was hatte uns so sehr zum Lachen gebracht? Ich glaube, es war nicht nur die grotesk unterschiedliche Mahlzeit, sondern uns allen wurde klar: Bei uns gibt es keine „Service-Kraft- Mutter“, sondern alle, auch die damals noch relativ kleinen Kinder, werden ernst genommen Das, was sie tun, hat Bedeutung! Das macht sie stolz – und „gleichwürdig“. Ihr Verhalten hatte eine „Konsequenz“ gehabt, aber keine in einem pädagogischen Gefälle: Die Mutter hatte weder geschimpft noch gemaßregelt. So konnte sich die Situation für uns alle im gemeinsamen Lachen auflösen. Wenn uns auch an diesem Abend der Zufall zu Hilfe gekommen war, so hatte doch auch ich etwas Wichtiges gelernt: Konsequenzen, die sich aus dem Verhalten logisch ergeben („wenn ihr eure Arbeit nicht macht, habe ich auch keine Lust“) sind wesentlich weniger demütigend, als zu strafen oder zu schimpfen.


Noch am gleichen Abend forderten die beiden ein, dass wir beim nächsten Familienrat beschließen sollten, wie sichergestellt wird, dass jeder seine Pläne auch einhält.

Beate Allmenröder

6. Bettbezug-Gespensterchen - spielend arbeiten

An einem trüben Wintertag will ich eigentlich nur kurz bei Karola, meiner Freundin, vorbei schauen: als sie mir die Türe öffnet, höre ich Lärm aus dem Kinderzimmer. „Oh, ich glaube, ich störe. Ich komme ein andermal“. „Nein, du störst gar nicht“, zieht sie mich in die Wohnung, „Komm, wir trinken einen Kaffee.“ „Aber ich glaube, deine Kids brauchen dich – hört sich so an.“ „Nein, die beziehen ihre Betten, die sind gut beschäftigt. Sie haben Spaß und brauchen mich gerade gar nicht.“

Nach Betten-Beziehen sieht das nicht gerade aus...

(Foto: M. Ihle)


Während der Kaffee durchläuft, luge ich ins Kinderzimmer: Da ist ein wildes Getobe: Der 6-jährige Lukas und die 7-jährige Jule spielen „Purzelbaum mit Anlauf“. Nach Bettenbeziehen sieht das nicht gerade aus.

 

Wir setzen uns mit unserem Kaffee ins Wohnzimmer und können in der Tat eine ganze Zeitlang ungestört reden. Dann geht auf einmal die Türe auf und zwei „Gespensterchen“ poltern herein. Die Kinder haben sich die großen Bettbezüge über die Köpfe gezogen, sehen nicht allzu viel und stoßen überall an. „Husch, ihr Gespenster, zurück ins Kinderzimmer“, reagiert ihre Mutter schnell. „Ihr sollt mal kommen und schauen, wie gut wir den Rückwärtspurzelbaum können“, nuschelt es durch die Bettbezüge. Na, das wollen wir sehen. Liest man doch jede zweite Woche in der Zeitung von irgendeiner Studie, dass Kinder immer unbeweglicher würden und im Grundschulalter keine Purzelbäume mehr machen könnten. Die Kinder schlüpfen aus den Bezügen und verwandeln sich in geschickte Turnkinder: Wir bekommen nicht nur den Purzelbaum-Gegenbeweis zu sehen, sondern gleich eine ganze Turnvorführung. Weitsprung aus dem Bett heraus, Bauchplatscher-Weitsprung ins Bett hinein… - lauter kleine, selbst erdachte Übungen, die in der Tat einiges Geschick erfordern. „Und jetzt kommt’s erst“, schreit Lukas, „jetzt machen wir das alles noch mal als Gespenst“. Blindturnen sozusagen. Auch das bekommen sie erstaunlich gut hin.

 

Auf dem Weg zurück ins Wohnzimmer frage ich meine Freundin: „Das nennst du Bettenbeziehen? Unter hausfraulichem Aspekt ist das allenfalls Staubaufwirbeln. Die sind ja wohl eh noch ein bisschen zu klein, um ihre Betten zu beziehen.“ „Letztes Mal hat’s geklappt“, sagt sie. Tatsächlich ändert sich auf einmal die Geräusche-Lage, die aus dem Kinderzimmer zu uns dringt. Es ist nicht mehr so viel lustiges Gequietsche zu hören, sondern jetzt streiten sie: „Du musst auch richtig festhalten!“ „Nein, du hast die falsche Ecke genommen.“ So geht es eine Weile hin und her. Dann hören wir kaum noch etwas, bis schließlich - dieses Mal zwei Kinder statt zweier Gespenster - herangestürmt kommen: „Fertig! Betten sind gemacht! Wir haben die Bettwäsche zur Waschmaschine gebracht. Ihr sollt mal schauen.“ Da bin ich jetzt echt gespannt, wie sie das mit ihren kurzen Armen hinbekommen haben: Keine Frage, das sieht nach frisch bezogenen Betten aus. Auch wenn man sicher das Bettdecke-Glattziehen noch perfektionieren könnte. Karola lobt sie ausführlich – und angesichts meines ehrlichen Erstaunens sind sie noch stolzer, dass sie das so gut gemacht haben.

 

Mein kurzer Besuch zieht sich nun doch in die Länge, weil ich zu dieser Aktion noch einige Fragen habe: Nach der Hygiene, nach der Altersgemäßheit und auch die „Staubfrage“ beschäftigt mich noch weiter. Karola antwortet sofort: „Weißt du, das bisschen Staub ist mir ziemlich egal, angesichts der Tatsache, dass meine Kinder heute ihr motorisches Geschick intensiv trainiert haben, dass sie sich an einem solchen Tag, an dem man nicht nach draußen kann, ordentlich ausgetobt haben, dass sie wichtige Schlüsselqualifikationen wie zum Beispiel Teamfähigkeit eingeübt haben, dass sie Kreativität entfaltet haben...“ „Hey, hör auf“ unterbreche ich ihre Aufzählung. „Hast du das auswendig gelernt?“ Jetzt wird Karola auf einmal nachdenklich: „Nee, auswendig nicht gerade. Aber ich habe es mir schon oft überlegt, weil du ja nicht die erste bist, die fragt, ob die Kinder nicht noch zu klein für so eine Arbeit sind. Aber du siehst doch, dass sie es hinbekommen! Dass es ihnen sogar Spaß macht und wie stolz sie sind!“

 

Beim Heimgehen erscheint mir der trübe Wintertag gleich viel heller, als ich mir ausmale, was meine Kinder wohl alles noch so nebenbei lernen werden, wenn ich ihnen auch das Bettenbeziehen beibringe.

Beate Allmenröder

7. Der kleine Junge von Wildersbach - Über Belohnungs- und Durchhaltestrategien

Der Fleißige erhält dann von allen lautstarkes "Lob und Preis!". (Foto: M.Ihle)

„Weißt Du, was meine schönste Erinnerung an unserem Urlaub ist?“ Diese Frage stelle ich nach ein paar Tagen im Elsass meinem Liebsten. „Die Wanderung mit den herrlichen Ausblicken? Unser romantischer Abend im Restaurant? Das Münster in Straßburg...?“, schlägt er vor. „Ja, das war alles schön, aber das allerschönste war der kleine Junge im Hotel in Wildersbach, der uns die Milch beim Frühstück gebracht hat.“


Der Mann an meiner Seite grinst: „Na, das fasse ich jetzt mal als Beleidigung auf“. Tut er aber nicht wirklich, weil er den Buben ja auch gesehen hatte: Das kleine Hotel wird von einer jungen Frau geführt, die ihrem – wir schätzen: 6-jährigen - Sohn an einem Morgen offensichtlich aufgetragen hatte, sich um die Frühstücksgäste zu kümmern. Uns reichte die Kaffeemilch nicht. Wir klopften an der Küchentüre. Der kleine, freundliche Junge streckte seinen Kopf heraus, bemühte sich, mein geradebrechtes Französisch zu verstehen, nickte und verschwand. Kurze Zeit später ging die Tür auf und er trug vorsichtig ein bis an den Rand gefülltes Milchkännchen herein. Dabei lächelte er so rührend scheu, eifrig und stolz, dass mir dieser Gesichtsausdruck auch jetzt noch das Herz erwärmt. Und dann fragte er sehr besorgt und höflich, ob uns denn der Kaffee reiche.


Die Bewältigung einer „echten“ Aufgabe – und das sogar vor fremden Menschen, die zusehen, was das Kind schon kann – das zaubert diesen entzückenden Gesichtsausdruck wohl auf jedes Kindergesicht.


„Die Bewältigung einer Herausforderung trägt eine starke Belohnung in sich – und hat keine von außen nötig.“ Diesen Satz habe ich beim Hirnforscher Gerhard Roth gelesen. Diesem kleinen Jungen musste seine Mutter sicher keine Belohnung für seinen morgendlichen Küchendienst versprechen: Es reichte ihm, sich wie ein „Großer“ zu fühlen, der die fremden Gäste versorgen kann.


Wie war das bei uns, als meine Kinder noch klein waren? Staunende Hotelgäste wie wir in Wildersbach gab es für meine Kinder nicht zu bedienen. Dennoch platzten sie vor Stolz, wenn sie etwas geschafft hatten, was sie sich selber noch gar nicht richtig zugetraut hatten.

Aber was ist, wenn die Arbeit zur Routine wird und keine Herausforderung mehr darstellt? Auch langweilige Alltagsarbeiten müssen ja erledigt werden. Stolz kommt da nicht mehr auf.

Wie kann ich Kinder dazu bewegen, diese immer-wiederkehrenden Aufgaben zu erledigen, die keinem richtig Spaß machen? Die sie sich auf ihre Pläne geschrieben haben, aber zu denen sie beim dritten Mal keine Lust mehr haben?


Ich frage meine Freundin Karola wieder um Rat: „Wie machst Du das, dass sich deine Kinder an ihre Pläne auch halten?“ „Das Prinzip scheinst Du immer noch nicht kapiert zu haben!“ Weil wir uns schon lange kennen, darf sie manchmal so direkt zu mir sein. Ich schaue sie fragend an. „Besprich es mit den Kindern! Sie werden schon Ideen haben. Wenn sie sich das Belohnungssystem selbst ausgedacht haben, wird es auch funktionieren.“ Dann gibt sie mir noch einen Rat ihrer Familientherapeutin weiter: „Fernseh- oder PC-Zeiten und Geld sind keine so gute Belohnung! Gemeinsam verbrachte Zeit mit irgendetwas, was sich die Kinder wünschen, ist viel besser.“ „Was könnte das denn sein?“, frage ich. „Wenn Jule und Lukas am Ende der Woche alles erledigt haben, was sie sich auf ihre Pläne geschrieben haben, dann gehen wir am Sonntag alle zusammen Eis-Essen. Das haben sie sich so gewünscht.“


Meine Kinder einigten sich schnell darauf, dass wir am Ende einer „erfolgreichen“ Woche als Familie einen Spieleabend machen, bei dem sie die Spiele bestimmen konnten.

Die Belohnungszeiträume wurden mit dem Größer-Werden immer länger. Und auch die Vorschläge, wie sie belohnt werden wollten, veränderten sich.


Eines hat sich bis heute bewährt: Auch wenn wir im Alltag keine staunenden Hotelgäste hatten, gab es stolze Gesichter durch unsere Vereinbarung, dass sich die ganze Familie das Ergebnis anschaut, wenn einer seine Arbeit erledigt hat. Das ist noch wichtiger als die vereinbarte Belohnung. Gerade bei den unangenehmeren Arbeiten! Der Fleißige erhält dann von allen lautstarkes "Lob und Preis!". Auch wenn die Familie dabei kichert, gefällt es mir selbst natürlich auch, wenn sie vielstimmig durchs Haus ruft: „Wir loben und preisen die Mama! Sie hat die Klos so schön geputzt!”

Beate Allmenröder

8. Vom großen Erzähler Peter Kurzeck - oder: Wie ein gutes Gespräch entsteht

„Mit Carina die Bockenheimer Landstraße und dann durch die Leipziger Straße. Lang. Und müssen einander wie immer den Tag, den heutigen Tag erzählen. Jeder seinen, er wäre sonst nicht gewesen, der Tag. Und wir auch nicht.“


Sich des Lebens vergewissern, indem wir es erzählen: es begreifen, reflektieren, verstehen. Erinnern, wiederholen, durcharbeiten. Darin war Peter Kurzeck, im Herbst 2013 zu früh gestorben, der große Meister. Wir trauerten alle, die er mit seinen Staufenberger, Gießener und anderen Geschichten in seinen Bann geschlagen hatte, wie um einen guten Freund. Weil es sich anfühlt, als kennten wir ihn persönlich, da er uns mit seinem weisen und leisen Humor in seinen Erzählungen so intensiv an seinem Leben teilhaben ließ.

„Und müssen einander wie immer den Tag, den heutigen Tag erzählen. Jeder seinen, er wäre sonst nicht gewesen, der Tag. Und wir auch nicht.“ (Foto: M. Ihle)


Die obigen Sätze sind ein Zitat aus „Ein Kirschkern im März“. Peter Kurzeck ist auf dem Heimweg vom Kinderladen mit seiner kleinen Tochter Carina. Sie erzählt von ihrer Pizza, redet sie herbei, auf die sie „alleinst alles draufgelegt“ hatte.


Kinder sind Meister des Erzählens. Oft unentdeckt. Denn es gibt den Stress im Alltag der Eltern - und manchmal auch in dem der Kinder. Dann ist die Zeit knapp, keine Ruhe zum Zuhören. Es gibt Verpflichtungen und gegensätzliche Interessen, dazu den PC und die (vielleicht gar nicht so) sozialen Netzwerke…. Dann ist es in vielen Familien irgendwann so, dass man einander nicht mehr viel erzählt. „Wie war es in der Schule?“. „Gut“. Manche Eltern sind enttäuscht, dass die Kinder so wenig erzählen, manche sind auch froh, dass sie nicht zuhören müssen.

Kürzlich traf ich einen Mitarbeiter einer Beratungsstelle: er erzählte mir, dass er und seine Frau – als die Kinder klein waren – die Spülmaschine abgeschafft hätten, weil sie gemerkt hatten, dass beim gemeinsamen Abspülen die intensivsten Gespräche entstehen. Dann berichtete er, wie viele junge Erwachsene und deren Eltern zu ihm kämen, seinen Rat suchten, weil sie den Schritt ins Leben nicht schaffen. Die psychisch erkrankten. Bei denen eine Sucht das Leben beeinträchtige... Er erzählte von der Verzweiflung. „Wieso wir so ein Glück mit unseren Kindern gehabt haben, dass wir solche Probleme gar nicht kennen, weiß ich auch nicht“, sagte er. Ob es auch mit der abgeschafften Spülmaschine zu tun hat?


Und wie es der Zufall will, las ich einen Tag später in Tom Hodgkinsons „Leitfaden für faule Eltern“: „Mir wäre es am liebsten, wenn die Kinder überhaupt keinen Unterschied zwischen Arbeit und Spiel wahrnähmen. Stellen Sie sich vor, sie hätten beim Abwasch genauso viel Spaß wie im Kino! Möglich ist das. … All das nahm seinen Anfang, als – o glücklicher Tag! – die Spülmaschine den Geist aufgab. Schon viele Jahre hatte ich gegen den hässlichen, brummenden Energieschlucker angewettert. Die Spülmaschine macht der Vorstellung von der Familie, die in trauter Eintracht den Abwasch erledigt, den Garaus….“ (Berlin 2009, S.208)


Dass die Küche immer ein Ort für gute Gespräche ist, kennen wir von Festen: während es im festlich vorbereiteten Wohnzimmer manchmal eher öde zugeht, ist es in der Küche höchst lebendig. Zum Glück ist es für den lebendigen und erzählintensiven Familienalltag nicht nötig, immerzu Feste zu veranstalten. Die normale Alltagsküchenarbeit tut es auch: Dass ich die Frage: „Wie war es in der Schule“ gar nicht mehr zu stellen brauche und trotzdem viel erfahre, ist mir allmählich deutlich geworden, nachdem es bei uns zur Selbstverständlichkeit geworden war, dass in der Küche auch die Kinder arbeiten. Waren sie es erst einmal geübt, Kartoffeln zu schälen, Zwiebeln und Möhren zu schneiden, wurde jede ruhige Arbeit zur guten Gelegenheit, von den Freuden und Sorgen, von den Gedanken meiner Söhne zu erfahren.


Und wenn sie manchmal nicht gleich „rausrücken“ mochten, bewährte sich der Rat einer alten Nachbarin: „Auch ihr Eltern müsst von Euch erzählen!“ Natürlich haben wir das je nach Alter der Kinder gefiltert. Wie Peter Kurzeck schreibt: auch unsere Tage wären ja nicht gewesen, wenn wir sie nicht erzählt hätten. Erst war ich erstaunt, dass es die Kinder tatsächlich interessiert, was ihre Eltern in der Erwachsenenwelt erleben, dann habe ich gemerkt, dass es dazu hilft, dass auch sie sich als Gesprächspartner ernst genommen fühlen. Um dann umso unbefangener auch von sich zu erzählen.

Beate Allmenröder


9. Blaukraut wird Rotkraut und Rotkraut wird Bildung

„Wunderwerke der Natur“ können Kinder beim Kochen bestaunen.

(Foto: M. Ihle)

„Ich habe überhaupt keine Lust auf diesen Elternabend morgen“, stöhnt meine Freundin Karola. „Familie als Bildungsort, zweite Folge. Hört sich doch gut an“, finde ich. „Ja, das ist schon interessant“, gibt Karola zu. „Aber weißt Du, wie es ausgehen wird: ich werde wieder deprimiert nach Hause gehen, weil ich als berufstätige Mutter keine Zeit für Zahlenrätsel und Lesespiele habe. Keine Zeit für Kastanienmännchen und Heu-Kränzchen. Keine Zeit für feinmotorische Bastelspiele, die die Entwicklung des Gehirns fördern. Keine Zeit, keine Kraft.“


Sie unterbricht sich: „Aber komm, lass uns mal in die Küche schauen. Ich weiß nicht, ob die Kiddies mit dem Rotkraut schon alleine zu Recht kommen“. In ihrer Küche sind unsere 4 Sprösslinge im Alter von 5 bis 7 Jahren zugange. Es ist gut, dass wir gerade kommen: „Gell, Mama, das Doppelte von ein Viertel ist ein Achtel“, sind sie alle vier überzeugt. „Wir haben schon alles ausgerechnet“, erklärt uns Lukas eifrig. „Wir haben den Kohlkopf gewogen. Der Zeiger war bei fast 2 Kilogramm. Wir haben das Rezept gelesen: es ist aber nur für 1 Kilogramm. Dann brauchen wir also immer das Doppelte, oder? 4 Zwiebeln, 80 g Fett, 4 Äpfel, 8 Esslöffel Essig und 8 Nelken.“ „Na, dann lasst uns mal zusammen überlegen, wie viel Wasser da nun dran muss.“ sagt Karola als souveräne Mutter. Als die Kinder einen Viertel- und einen Achtel-Liter Wasser nebeneinander sehen, wird ihnen ihr Rechenfehler anschaulich.

„Dann müssen wir jetzt erst einmal den Kohlkopf kleinschneiden“, weiß Julchen und schwingt schon das riesige Küchenmesser. Karola nimmt ihr das Messer aus der Hand: „Das Durchschneiden übernehme ich mal lieber“. Der Kohlkopf zerfällt in 2 Teile. Und schon ist Karola umringt von den Kochzwergen: „Das sieht ja richtig schön aus!“ Sie betrachten fasziniert die schöne Struktur des zerschnittenen Gemüses. Jule saust davon, um ihr Religionsschulbuch zu holen: „Guckt mal hier: „Wunderwerke – all diese schönen Formen haben eine Mitte. Jedes Leben muss eine Mitte haben“ liest sie vor. Tatsächlich: da sind genau die Hauptzutaten zum Rotkohl abgebildet: Ein durchgeschnittener Rotkohlkopf, ein Apfel, eine Zwiebel. Es dauert eine Weile, bis sich die 4 durchringen können, diese Wunderwerke der Natur nun weiter zu zerkleinern, so dass sie schließlich in den Topf wandern können. Dazu brauchen sie eine Weile: mit ihren kleine Fingerchen ist es gar nicht so einfach, den großen Kohlkopf in feine Streifen und die Zwiebeln in feine Würfel zu „zersäbeln“. Beim Zusehen muss ich schmunzeln: „Hier entwickelt sich gerade Intelligenz. Feinmotorische Übungen tragen zur Gehirnentwicklung bei.“

Inzwischen schmoren Zwiebeln und Rotkraut im Topf. Lukas liest, als Leseanfänger noch ziemlich stockend, im Kochbuch: „So-fort et-was Es-sig da-rü-ber gie-ßen“. Natürlich will er wissen, warum Essig ins Rotkraut soll – und staunt nicht schlecht, als das Kraut sich sofort von bläulich nach rot verfärbt. Karola und ich haben noch dunkle Erinnerungen an den „Lackmustest“. Während das Rotkraut gart, lassen uns die Kinder „Blaukraut bleibt Blaukraut und Brautkleid bleibt Brautkleid“ sagen, bis wir es so fehlerlos wie sie können. Sie haben es schon beim Gemüseschneiden geübt.

 

Das Rotkraut schmeckt ausgesprochen gut - und es stellt sich raus, dass die Kinder die doppelte Menge von der doppelten Menge Äpfel daran gegeben haben. Eine Zufallsentdeckung: Das Geheimnis eines guten Rotkrautes sind viele, viele Äpfel.

Die zweite Zufallsentdeckung für uns Mütter an diesem Tag: auch beim Rotkrautkochen kann die Familie zum Bildungsort werden. Ich habe nämlich beobachtet, dass in Karolas Küche heute eine Stunde in Mathe, in Lesen, in Religion, in Chemie… stattgefunden hat. War nicht der Brautkleid-Zungenbrecher sogar eine logopädische Übung?


Karola sieht dem Elternabend jetzt ganz vergnügt entgegen: „Unsere Erkenntnisse von heute werde ich morgen Abend mal zur Diskussion stellen. “

Beate Allmenröder

10. Früh übt sich, wer kein Macho werden will

 

„Großartig!“, jubele ich am Frühstückstisch. „Haben wir nicht eine wunderbare Zeitung abonniert!?“ Mit meiner Freude reiße ich den Mann, mit dem ich seit Jahren nicht nur das Frühstück, sondern auch die Passion teile, dabei Zeitung zu lesen, aus seiner Lesekonzentration. „Schau mal,“ begeistere ich mich, „das hat die „Gießener Allgemeine“ doch wieder richtig gut gemacht: auf derselben Seite wie die Serie über hausarbeitende Kinder die Philosophin, die übers Putzen schreibt. Und das am Weltfrauentag!“ Er blickt von seiner Zeitung auf und runzelt die Stirn: „Am Weltfrauentag schreibt eine Frau übers Putzen?“ Und grinst, als er fortfährt: „Ja, doch, das gefällt mir!“

"Umso wichtiger, dass alle Jungs von Anfang an das Putzen lernen, oder?“ (Foto: M.Ihle)


„Nein“, belehre ich ihn, „es handelt sich um eine Philosophie des Putzens. Da geht es ums Putzen für alle Geschlechter!“ sage ich – und mir fällt ein Gespräch mit anderen Müttern ein, das wir geführt hatten, als unsere Kinder noch klein waren.

 

Da hatte sich so manche unter uns gewünscht, dass ihre Schwiegermutter ihrem Sohn mehr Haushaltskompetenzen mit auf den Lebensweg gegeben hätte. Eine beklagte sich, dass ihrem Mann die „Bedienung“ eines Putzlappens komplizierter zu sein schien als die seines Videogerätes. Eine andere hatte von der Überzeugung ihres Lebensgefährten berichtet, dass das moderne „Wasserclosett“ sich von alleine reinige. Es gab die Freundin, deren Liebster ihre Bitten, dass er sich am Putzen beteiligen möge, konterte – während er genüsslich das von ihr auf den Tisch gestellte Essen verspeiste – dass Haushaltsarbeit „kleinkariert“ und „spießig“ sei. Und es kursierte die Geschichte des zur Beteiligung an der Hausarbeit gezwungenen männlichen Wesens, das sämtliche Kaschmir-Pullover seiner Gattin in die Kochwäsche gegeben hatte, um damit sicher zu stellen, dass er nie wieder die Waschmaschine bedienen müsse. „Seht ihr!“ mischte sich Karola ins Gespräch, „das ist einer der Gründe, warum ich nicht nur Jule, sondern auch Lukas all das beibringe, was die gute Hausfrau und der gute Hausmann können muss. Und wisst Ihr,“ - fuhr sie mit dem ihr eigenen Humor fort, „was einen Mann besonders erotisch macht? Eine Spülbürste und ein Scheuerlappen in seiner Hand.“ Und schon hatte sie sich in Rage geredet: „Was ich überhaupt nicht verstehe: warum Leute, die Kinder haben, eine Putzfee beschäftigen. Wie sollen die Kinder denn dann das Putzen lernen!? Und Respekt bekommen vor dieser Tätigkeit? Und außerdem: Zu Unrecht regt Ihr Euch über Eure Schwiegermütter auf! Man lernt von Vorbildern – und das waren doch die Schwiegerväter, die auch keine Hausarbeit gemacht haben!“

 
Natürlich gab es unter uns auch welche, die einen von diesen „Ausnahme-Männern“ erwischt hatten, die das Geheimnis der Liebe längst kannten. Ich träumte noch davon – und daher leuchtete mir Karolas Argument auch sofort ein, vor allem die Söhne frühzeitig an der Hausarbeit zu beteiligen. Inzwischen weiß ich selber, wie gemeinsame Verantwortung für die Hausarbeit die Liebe stärkt. Ja, Putzlappen in Männerhand sind durchaus erotisch.

 

Ich setze das Frühstücks-Gespräch fort, indem ich aus der Zeitung zitiere: „Putzen kann entspannend, körperlich herausfordernd und sinnvoll sein – genau wie Sport, sagt Nicole Karafyllis“. Und weiter lese ich aus dem Artikel der Philosophie-Professorin vor: „Es ist eine der wenigen Tätigkeiten, bei denen ich Zeit habe nachzudenken. Völlig zu Unrecht fehlt dem Putzen die gesellschaftliche Anerkennung“.

 

„Das hat die Soziologie schon längst herausgefunden: wenn in einem gesellschaftlichen Bereich hauptsächlich Frauen tätig sind, hat er keine Anerkennung“, trägt der Mann, der nicht nur putzt, sondern auch liest, zu unserem Gespräch bei. „Umso wichtiger, dass alle Jungs von Anfang an das Putzen lernen, oder? Deswegen finde ich es gut, dass dieser Artikel am Weltfrauentag erscheint“, will ich recht behalten. „Na, dann hast du aber ein Problem“, scherzt mein Liebster, „wann soll denn dann dein Artikel übers Putzen gedruckt werden? Der Weltfrauentag ist ja gerade vorbei.“ „Jeder Tag ist ein guter Tag, an dem darüber geschrieben wird, dass Jungs das Putzen lernen“, kontere ich. „Soll ich dir mal noch etwas verraten?“ fragt er schelmisch. „Meine Eltern haben mir das Putzen auch nicht beigebracht.“ „Trotzdem hast Du es gelernt! Das ist erst Recht eine gute Nachricht!“, finde ich.

Beate Allmenröder

11. Murat wringt Salat - Selbstverantwortung fördern

Nicht nur in der Küche wurde er schnell geschickter... (Foto: M. Ihle)

In der Schule im Berufsvorbereitungsjahr „Hauswirtschaft“ sehe ich, wie Murat – der in Wirklichkeit anders heißt - Salat „wäscht“: er wringt die armen Blätter des grünen Kopfsalats wie der gute Hausmann – oder in der Realität doch eher die gute Hausfrau? - einen Scheuerlappen wringen würde. „Was machst Du da???“ „Wir sollen den Salat waschen!“ Mich veranlasst meine Beobachtung ihn zu fragen: „Kochst Du auch manchmal zu Hause?“ Sein „Nein“ kommt überzeugend, und sein Gesichtsausdruck wäre wohl kaum anders gewesen, hätte man ihm einen unsittlichen Antrag gemacht.


Murat ist ein charmanter, gut aussehender junger Mann von 16 Jahren. Nur leider völlig unzuverlässig: das Kopiergeld bezahlt er nicht, das Koch-Geld vergisst er fast jedes Mal, seine Hausaufgaben macht er eigentlich nie. Sein Berufswunsch ist Koch.


Nach einem schlechten Halbjahreszeugnis bitten die Eltern um ein Gespräch. Es kommen zwei sympathische Menschen, die sehr um die schulische und berufliche Entwicklung ihres Kindes besorgt sind. Sie verstehen gar nicht, warum ihr Sohn sich so unzuverlässig verhält, wo sie sich doch so zuverlässig um ihn kümmern! Warum er so schlechte Noten hat, wo sie doch alles für ihn tun! Ich frage auch sie, ob Murat zu Hause kocht. Auch sie finden die Frage mindestens merkwürdig. Und sonst: andere Hausarbeiten? Nein, nie. (Das ist keine Eigenheit türkischer Einwanderer! Nein, das gibt es genauso in „urdeutschen“ Familien jeden Bildungsgrades!) Ich frage Murats Eltern nach ihren eigenen Kindheitserfahrungen. Beide erzählen, wie viel und wie hart sie damals weit im Osten der Türkei hätten schon von früh an mitarbeiten müssen. Sie erzählen lebhaft und mit einem Leuchten in den Augen. Dann müssen sie beide lächeln: Es dämmert ihnen! Die Situation ist nicht vergleichbar mit der damaligen in kleinbäuerlicher, anatolischer Landwirtschaft. Aber auch im Haushalt gibt es viel Arbeit. Für einen zukünftigen Koch darf Kochen ja wohl nicht als „niedrige Frauenarbeit“ gelten. Das leuchtet allen dreien ein. Ich gebe die „Hausaufgabe“, dass Murat die Gerichte, die er in der Schule lernt, zuhause für die Familie nachkocht. Und rate dringend, ihn mehr und mehr auch bei anderer Familienarbeit zur Verantwortung zu ziehen.


Ich habe Murat noch ein paar Mal an seine Koch-Hausaufgabe erinnert. Nach ein paar Wochen habe ich auch noch einmal mit den Eltern telefoniert, um zu hören, ob die Vereinbarung gilt. Es dauerte nicht lange - dann fand mit Murat eine wunderbare Verwandlung statt: Nicht nur in der Küche wurde er schnell geschickter und verblüffte die Kollegin mit seinen Fertigkeiten. Auch in den anderen Fächern machte er auf einmal die Hausaufgaben und hatte immer alles Geforderte dabei. Wie durch ein Wunder mauserte er sich in nur wenigen Monaten zu einem verantwortungsbewussten, jungen Mann.


Wissenschaftlich untersucht habe ich das nicht, aber ich bin der Überzeugung, dass es einen Zusammenhang zwischen der Übernahme von Verantwortung im Familienalltag und der Selbstverantwortung für Schulangelegenheiten gibt. Nachdem ich selbst erstaunt Murats Entwickung wahrgenommen hatte, habe ich manchmal meine Schüler nach ihrer Mitarbeit zu Hause gefragt. Dabei hat sich meine Theorie im Wesentlichen bestätigt: Wer in der Familie regelmäßig verantwortungsvolle Aufgaben übertragen bekommt, der erledigt meistens auch die Hausaufgaben selbständig und eigenverantwortlich. Sehr häufig korrespondieren damit sogar gute schulische Leistungen. Fast immer hat man es dann mit umgänglichen, sozial-kompetenten, jungen Menschen zu tun. Wobei es natürlich auch zuverlässige, nette Jugendliche mit guten Noten gibt, die zu Hause nicht wesentlich mithelfen.

Am Schuljahresende hat Murat doch noch ein erstaunlich gutes Zeugnis bekommen. Die Eltern bedanken sich. Sie haben wohl etwas Wichtiges verstanden, als sie sagen: “Weil wir unbedingt wollten, dass unser Sohn es einmal besser hat als wir, haben wir es eigentlich schlechter für ihn gemacht. Seit er jeden Tag etwas für die Familie gearbeitet hat, war er viel ausgeglichener, viel umgänglicher und hat viel bessere Noten bekommen.“

Beate Allmenröder

12. "Du fragst, was wir hier machen? Wir schuften und wir lachen!"

„Ich habe ein Haustier, das zeig ich Dir: Die Staubmaus, die wohnt bei uns im Haus“, reimt Jule    (Foto: M. Ihle)

Bei meiner Freundin Karola ist offensichtlich große Putzaktion. Die Türe ist angelehnt. Als ich unbemerkt hereinkomme, höre ich Staubsauger-Geräusche: Der 10-jährige Lukas saugt und singt: „Ich sauge, ich sauge“ - sieht mich und fährt fort - „da kriegst Du eins aufs Auge“. Und lacht! Er lässt sich bei seiner Staubsauger-Performance gar nicht stören. Er singt nämlich nicht nur, sondern er tanzt auch noch, während er mit dem Staubsauger-Rohr geschickt in alle Ecken fährt und weist in Richtung Badezimmer. Von dort höre ich schon Karola und ihre Tochter Jule kichern. Einen Moment beobachte ich Lukas‘ faszinierende Staubsauger-Choreografie. Pina Bausch wäre begeistert gewesen! Dann zieht mich Jules Stimme in Richtung Badezimmer: „Ich habe ein Haustier - das zeig ich Dir: Die Staubmaus - die wohnt bei uns im Haus“, reimt sie, und klärt mich auf, während sie ein solches „Haustier“ unter dem Badezimmerschrank ausfindig macht, dass heute Putzreim-Tag sei. „Wenn Menschen sich besuchen - dann gibt es Kuchen. Wir brauchen eine Pause - und machen eine Jause.“


Damit sind alle einverstanden: Geschwind ist der Tisch gedeckt. Jule will mir ein Stück Pflaumenkuchen geben. Statt auf dem Teller landet es kopfüber auf der frischen Tischdecke. Schon brechen alle drei wieder in Gelächter aus. „Oh, ein Fleck - auf der Tischdeck‘!“

„Du lässt Deine Kinder schuften und trotzdem ist es bei Euch immer so lustig?“ wundere ich mich, an Karola gewandt. „Warum lacht Ihr denn, wenn ein Fleck auf der Tischdecke ist?“, füge ich hinzu, obwohl sie mich längst mit Lachen angesteckt haben. „Das war doch irgendwie lustig, wie der Pflaumenkuchen da gepurzelt ist“, sind sich die Kinder einig. Und prusten noch einmal los. „Ist es bei uns denn besonders lustig? Lustiger als in anderen Familien?“ fragt Karola, als sie wieder zu Atem gekommen ist.

„Ich finde schon“, sage ich und bin froh, dass inzwischen der Kuchentransport auf meinen Teller geglückt ist. „Ich kenne sonst keine Familie, in der die Mutter lacht, wenn die Kinder den Kuchen auf die Tischdecke werfen“. Das bringt die Kinder schon wieder zum Lachen.

„Du scheinst Recht zu haben – aber warum ist das so? Darüber habe ich noch nie nachgedacht“, wird Karola nun nachdenklich. Die alberne Stimmung wechselt und auch die Kinder denken nach. „Ehrlich gesagt“, hebt Jule an und muss erst einmal den Kuchen in ihrem Mund runterschlucken „finden wir es nicht immer lustig, wenn wir uns mit Freunden treffen wollen und die Mama sagt dann, dass wir erst putzen müssen.“ „Erst verdirbt das einem die Laune. Wir wollten nämlich eigentlich Inliner-Fahren,“ fügt ihr Bruder hinzu, „aber wenn man dann zusammen an der Arbeit ist und weiß, dass jeder seinen Teil beiträgt, dann macht es meistens sogar Spaß. Wenn wir dann zusammen alles geschafft haben, ist das ein richtig gutes Gefühl.“ „Ja, vielleicht so wie auf einem Schiff, auf dem alle zusammen helfen müssen, damit man im Sturm nicht untergeht“, überlegt Jule, die mit der Klasse auf einem Segeltörn war. „Guter Vergleich!“ finde ich. „Ihr trotzt zusammen den Stürmen des Alltags, wie eine Mannschaft auf einem Schiff – und das stärkt Euren Zusammenhalt.“

„Ja, stell Dir vor, ich würde hier alleine putzen, und die kids säßen währenddessen am PC. Dann wäre ich nicht so guter Laune“, ergänzt Karola und fährt fort: „Stärkt das nicht immer Beziehungen, egal ob Partnerschaft, Familie oder Gruppe, wenn es eine gemeinsame Aufgabe gibt?“ „Und wer sich gut miteinander fühlt, der ist auch lustig“, fasst Lukas das Gespräch zusammen, während er sich das letzte Stück seines Kuchens in den Mund schiebt.

„Ja, sehr lustig und gemeinschaftsfördernd, wenn Du mir eins aufs Auge geben willst“, muss ich nun doch noch mal – schmunzelnd - auf seine „Begrüßung“ zurückkommen. Das löst wieder Gelächter aus. Und nach Karolas scherzhaftem Tadel haben die Kinder schnell einen neuen Reim gefunden: „Du fragst, was wir hier machen? - Wir schuften und wir lachen.“

„Dürfen wir jetzt aufstehen, fertig putzen und dann zur Halfpipe?“

Beate Allmenröder

13. Kasachische Cowboys: Freiheit, Bewegung und Abenteuer

Vor mehr als 10 Jahren begegnen mir im Unterricht eines Berufsvorbereitungsjahres Jurij, Andrej und Viktor, drei 16-jährige Russlanddeutsche, erst kurz in Deutschland. Liebenswerte Burschen, aber unruhig und laut. Als ich sie nach ihrem Leben in Kasachstan frage, ist Ruhe in der Klasse. Zunächst wollen sie nichts erzählen: „Das interessiert hier sowieso keinen“. „Doch, mich interessiert es, und Ümit, Marcel und Ali auch.“ Wir waren gerade darauf gekommen, dass uns über alle nationalen Grenzen hinweg unsere bäuerlichen Wurzeln verbinden. Zögernd fängt Jurij an. Er erzählt, wie er Tage und Nächte mit seinem Onkel unterwegs gewesen sei, um die riesige Kuh-Herde zu hüten. Seine Augen beginnen zu leuchten.

„Du hast ihn die ganze Strecke alleine durch den Wald radeln lassen? Das ist doch gefährlich!“ (Foto: M. Ihle)


In unserem engen Klassenraum entstehen Bilder der Weite von Taiga und Tundra und wir sehen einen glücklichen auf einem Pferd dahin galoppierenden Jungen vor uns. Die drei kommen ins Schwärmen: wie sie Saft aus Birken gewonnen, Nächte an Lagerfeuern verbracht und sich mit ihren Freunden an Wochenenden am Fluss getroffen hätten mit Gitarre und Akkordeon... Und dann die nüchterne Rückkehr in die deutsche Realität „Wenn Du hier einen Nagel in eine Birke schlägst, kommt sofort die Polizei.“


Seit diesem Gespräch wundert es mich nicht mehr, dass vergleichsweise viele junge Russlanddeutsche in harte Drogen abrutschen: ein anderes Abenteuer scheint ihnen Deutschland nicht zu bieten.


Auch wenn sich „Migrationshintergrund“ irgendwie wie „schwere Behinderung“ anhört, haben mich diese Schüler gelehrt, dass Einwanderer viele Erfahrungen, Begabungen, Talente, Fähigkeiten und Ressourcen mitbringen. Wir müssten uns nur dafür interessieren!

Indem wir den - sonst oft im Dunklen bleibenden – Migrations-„Hintergrund“ aufgehellt haben, ist mir durch diese drei jungen Russlanddeutschen noch einmal mehr deutlich geworden, wie sehr Kinder Freiheit, Bewegung und Abenteuer brauchen.

Aber wie kann ich dies meinen Söhnen im „engen Deutschland“ (so hatten es die drei formuliert) ermöglichen?


Das Aha-Erlebnis dazu habe ich kurze Zeit später, als ich bei meiner Freundin Karola zu Besuch bin. Kurz vor dem Abendessen stürmt ihr 12-jähriger Sohn Lukas herein: außer Atem und fröhlich. „Ich habe ein Wildschwein mit 8 Jungen gesehen!“, platzt er heraus. „Wo warst Du denn?“ frage ich ihn verwundert. „Bei Felix“. Ich weiß, dass sein Freund Felix im 11 km entfernten Dorf wohnt. „Hat der Wildschweine?“ „Nein, die Wildschweine habe ich im Wald gesehen. Die sind mir direkt vorm Fahrrad über den Weg gelaufen. Erst hab ich einen Schreck gekriegt. Aber sie sind ganz schnell im Wald verschwunden.“ Erstaunt wende ich mich an Karola: „Du hast ihn die ganze Strecke alleine radeln lassen? Das ist doch gefährlich!“ Karola ist eine coole Mutter: „Was soll im Wald gefährlich sein?“ „Man hört so viel…“, will ich einwenden, aber da fährt sie schon fort: „Die Menschen fürchten sich vor den falschen Dingen! Wie viele Kinder sterben im Straßenverkehr und wie viele werden im Wald gekidnappt? Trotzdem denken viele Eltern, es sei ungefährlicher, sie mit dem Auto zu bringen.“ Jetzt ist sie nicht mehr zu stoppen: „Außerdem zählt Bewegungsmangel bei uns zu den Haupttodesursachen. Täte Eltern und Kindern gut, das Auto stehen zu lassen. Weißt Du eigentlich, wodurch die meisten Kinder zu Fuß auf ihrem Schulweg verunglücken? Durch Eltern, die ihre Kinder mit dem Auto bringen! Habe ich gerade in der Zeitung gelesen. Da stand auch, dass schon Kindergartenkinder, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad kommen, klüger und gesünder sind, als die, die mit dem Auto gefahren werden.“


Die kasachischen Cowboys Juri, Andrej und Viktor und der Radfahrer Lukas haben damals bewirkt, dass bei uns das Muttertaxi in der Garage blieb. Schnell fanden meine Söhne Gefallen an der Freiheit, die ihnen das Radeln ermöglichte. Als sie dann den Führerschein hatten und ich ihnen manchmal die Benutzung des Autos anbot, hielten sie mir Vorträge über Glückshormone, die der Körper bei Bewegung produziert, über gesundheitliche und ökologische Vorteile des Fahrradfahrens und schwärmten mir von wunderbaren Naturerlebnissen vor. Selbst Glatteisnächte, Überschwemmungen auf dem Schulradweg oder nahende Gewitterfronten hielten sie selten vom Radeln ab. Abenteuer im „engen Deutschland“! Für diese „Suchtprävention“ bin ich den drei russlanddeutschen Jungs bis heute dankbar.

Beate Allmenröder

14. Überforderung ist Diebstahl, Unterforderung ist Mord - Von der nützlichen Erfahrung, nützlich zu sein

„Kinder Torte backen zu lassen, ist eine sehr gute ergotherapeutische Übung! Kann ich noch ein Stück bekommen?“ (Foto: M. Ihle)

Jule und Lukas, die Kinder meiner Freundin Karola, stehen auf der Leiter. Der Rollladen-Kasten ist ihre Baustelle. Mit Schraubenzieher und Zange in der Hand rätseln sie über der Mechanik - drei Tage vor Jules Konfirmation. „Warum holst Du denn keinen Handwerker?“, frage ich Karola. „Die beiden wollten ausprobieren, ob sie den Rollladen nicht selbst wieder in Gang bringen. Heute Morgen konnten wir ihn nicht mehr hochziehen“. „Selbst wenn sie es hinkriegen, muss das doch noch wieder tapeziert und gestrichen werden!?“ Wir verfolgen das Thema nicht weiter, weil noch die Planungen für den Konfirmationstag zu besprechen sind.


Nicht erst als der 13-jährige Lukas am Tag der Konfirmation seiner Schwester die selbst gebackene Schwarzwälder Kirschtorte zum Tisch bringt, sondern schon beim Mittagessen, für das Lasagne und Mousse au chocolat von der Konfirmandin und ihrem jüngeren Bruder am Vortag vorbereitet waren, fällt mir der Rollladen wieder ein. Über dem Fenster ist alles wieder unauffällig.


Nach dem Kaffeetrinken toben Kinder und Jugendliche davon und wir Erwachsenen können uns den „ernsten“ Themen widmen. Wir sind beeindruckt von Karolas Kindern, die Konfirmationsessen vorbereiten, Torten backen und Rollläden reparieren.


Patin Sylvia sagt zu Karola: „Du mutest Deinen Kindern echt viel zu. Aber gut drauf sind sie ja trotzdem.“ „Ja, Du erziehst richtig wertkonservativ, aber Deinen Kindern scheint es nicht zu schaden“, fügt ein Onkel hinzu. Karola schaut irritiert: „Wieso wertkonservativ?“ „Sie müssen so viel arbeiten, Deine Kinder. Das ist heute doch gar nicht mehr üblich.“ Jetzt schaltet sich Jules andere Patin, Ergotherapeutin von Beruf, ins Gespräch: „Vielleicht sind sie ja gut drauf, weil Karola sie so viel arbeiten lässt? Kindern sinnvolle Beschäftigung zu geben, ist doch nicht wertkonservativ! Ich glaube sogar, dass viele Kinder echte Symptome von Langzeitarbeitslosigkeit zeigen.“ Nun schauen wir irritiert. „Was glaubt ihr, wie oft ich Kinder in Behandlung habe, die noch nie einen Apfel geschält, ein Ei aufgeschlagen oder gar eine Torte gebacken haben! Bei Erwachsenen weiß man das längst, dass sie krank werden, wenn sie nichts Sinnvolles zu tun haben! Alle Menschen brauchen Herausforderungen, für die sie Anerkennung erhalten. Aber wie viele Eltern lassen ihre Kinder fast gar nichts mehr selbst machen! Sogar die Schulbrote werden ihnen fertig in den Ranzen gesteckt. Den Kindern fehlt doch die nützliche Erfahrung, nützlich zu sein.“


Mir fällt ein, dass ich als 4-jährige beim „Steine-Lesen“ auf unserem Bauernhof den Traktor mit Wagen lenken musste. Ich konnte natürlich noch nicht wirklich fahren, aber den Traktor im Schritttempo in der Spur halten, während die Erwachsenen nebenher liefen und die Steine auf den Wagen warfen, das konnte ich schon. Beim Wenden sprang mein Vater auf, und dann durfte ich weiter“fahren“. Stundenlang habe ich das geduldig gemacht – und war sooo stolz, weil ich ja wirklich eine ganze Arbeitskraft ersetzt habe.


„Siehst Du“, kommentiert Karola meine Kindheitserinnerung, „und genauso stolz wie Du damals waren meine Kinder vorgestern als sie mir den Handwerker ersetzt hatten und der Rollladen wieder tadellos funktionierte.“ Das ergänzt die Ergotherapeuten-Patin: „Heute spricht man immer von der Unzurechnungsfähigkeit der Pubertierenden, Umbau im Hirn… usw. Früher war die Konfirmation der Beginn des Arbeitslebens. Das hat damals auch funktioniert. Ich sage Euch: es ist nicht der Hirnumbau bei den heutigen Jugendlichen, der sie in der Pubertät so schwierig macht. Nein, es ist die Arbeitslosigkeit. Typische Symptome sind doch Selbstzweifel, Stimmungsschwankungen, Depressionen, Suchterkrankungen, innere Unruhe…Warum sollte das denn bei Kindern anders sein?“ „Krasse These“, sagt Patin Sylvia. „Na ja, vielleicht ist das gar nicht so falsch“, mischt sich nun wieder der Onkel ins Gespräch. Ich habe kürzlich bei einem Pädagogik-Seminar einen interessanten Satz gehört: Überforderung ist Diebstahl, Unterforderung ist Mord. Vielleicht tun wir unseren Kindern ja tatsächlich etwas an, wenn wir zu wenig von ihnen erwarten und verlangen? – Torte backen zu lassen, halte ich jedenfalls für eine sehr gute ergotherapeutische Übung! Kann ich noch ein Stück bekommen?“

Beate Allmenröder


15. Smartphone-Mütter und Facebook-Lehrer        – Erziehung in der Digitalmoderne

Auf dem Fahrradweg muss ich scharf bremsen: eine telefonierende, junge Frau schiebt mir ihren Kinderwagen direkt vors Rad. Sie nimmt den Beinahe-Unfall, den sie verursacht, nicht einmal wahr. Ein Bekannter beobachtet die Szene und begrüßt mich. „Schön, dass ich Dich treffe! Und dann auch gerade in dieser Situation!“ sagt er grinsend. „Ich wollte Dich nämlich schon anrufen. Denn ich habe da noch ein wichtiges Thema für Deine Zeitungskolumne...“ Ich schaue ihn fragend an. Er nickt der jungen Frau hinterher, die völlig unbeeindruckt ihres Weges zieht: „Genau darum geht es: Familie, Kinder, Smartphones.“

„Verloren unter 100 Freunden“? (Foto: M. Ihle)


„Was soll ich denn darüber schreiben? Welche Erfahrungen macht Ihr denn in der Klinik damit?“, frage ich. Thomas arbeitet als Therapeut in einer psychiatrischen Klinik für Kinder- und Jugendliche.


„Viele der Jugendlichen sind 'Verloren unter 100 Freunden', würde ich sagen. Kennst Du dieses Buch von Sherry Turkle?“ Ich schüttele den Kopf, so dass er weiter spricht: „Es beschreibt ziemlich genau, was wir bei unseren jungen Patienten beobachten: in Medien abgetauchte junge Menschen. Sie sind in sozialen Netzwerken unterwegs und dennoch beziehungslos oder zumindest beziehungsgestört. Kaum noch in der Lage, sich in andere hinein zu versetzen. Vor lauter Medien spüren sie weder sich selbst noch andere. Was ihnen komplett fremd ist, ist so etwas wie schöpferische Einsamkeit, Langeweile, aus der etwas Neues entsteht.“ „Und? Wie geht Ihr damit um?“ „Wir nehmen den Kindern und Jugendlichen die Smartphones ab und reglementieren die Mediennutzung. Am Abend dürfen sie für eine begrenzte Zeit ins Internet. Statt Smartphones und PCs gibt es Gespräche, Gruppentrainings, Ergotherapie und Sport. Das passt zu Deinen Texten: Selbstwirksamkeitserfahrungen im realen Leben – das halten wir für einen wichtigen Therapieansatz.“


„Und wie macht Ihr es mit Euren eigenen Kindern?“, will ich nun wissen. Meine Kinder sind ja in der Vor-Smartphone-Zeit groß geworden. „Gute Frage. Wir versuchen zu Hause auch, die Smartphone-Nutzungszeiten klar einzuschränken. Wenn wir als Familie zusammen sind, sind alle Handys aus. Abends müssen beide Kinder ihre Smartphones abgeben. Wir achten darauf, dass es auch immer wieder Zeiten gibt, in denen sie mit sich selbst alleine ohne ihre Handys sind. Selbst, wenn sie erst einmal über Langeweile maulen. Außerdem legen wir ihnen nahe, sie nicht mit in die Schule zu nehmen.“ Da staune ich: „Damit seid Ihr aber Ausnahme-Eltern, oder?“ „Na, ja, durch meinen Beruf weiß ich wahrscheinlich mehr als andere, wie sehr das dauernde „Multi-Tasking“ die Fähigkeit zu denken einschränkt. Es macht nachweislich dümmer und zerstreuter“. „Aber Smartphones haben ja auch viele Vorteile“, gebe ich zu bedenken. „Ja, klar – und meistens nehmen unsere Kinder sie auch mit in die Schule. Aber wir versuchen, sie zum bewussten Umgang anzuregen“. „In der Schule erlebe ich auch manchmal Jugendliche, die bewusst keine Smartphones haben – da entwickelt sich vielleicht ein Gegentrend?“, gebe ich eine Beobachtung wieder. „Das wäre schön! Ich musste mich nämlich in der Schule meiner Kinder mit einem Lehrer auseinandersetzen, der mit seiner Klasse über Facebook kommuniziert hat. Ich finde, das geht allein schon deswegen nicht, weil niemand gezwungen werden sollte, in diesen Netzwerken Mitglied zu sein.“


Da sehen wir die junge Frau mit ihrem Baby zurückkommen. Das Baby schreit, aber die Frau telefoniert immer noch! „Eine Schülerin sagte mir neulich: Mit meiner Mutter kann ich nicht sprechen, die ist immer in Facebook!“, erzähle ich angesichts dieser Szene. Auf einmal fängt Thomas an zu lachen: „Kennst Du 'den kleinen Meisenmann' von Helge Schneider? Das hat er neulich bei seinem Konzert in Wetzlar gesungen: Ein Adler fliegt über der Fußgängerzone und entdeckt unten eine Frau mit Kinderwagen. Der Adler stürzt nieder - direkt in den Kinderwagen und klaut dem Baby das Brötchen, an dem es gerade nuckelt. Und die Mutter? Die merkt es überhaupt nicht, weil sie nur auf ihr blödes Smartphone glotzt. – Eigentlich ist das ja überhaupt nicht witzig, aber...“ Thomas kichert und steckt mich damit an: „Manchmal ist das wirkliche Leben fast so absurd wie Helge Schneiders Lieder.“

Beate Allmenröder

16. „Heinzelmännchen“ - Eilige Eltern und eifrige Kinder

„Uns hat ein tolles Buch geholfen“, erklärt Sophies Mutter.

(Foto: M. Ihle)

„Ihr dürft kommen!“ Sieben rotbackige Kindergesichter tauchen in der Tür des Seminarraums der Familienbildungsstätte auf, um die Eltern zum Essen zu rufen. Die hatten in den vergangenen zwei Stunden Küchenverbot. Eltern-Kinder-Seminar: “Wie vermitteln wir unseren Kindern Erfahrungen von Selbstwirksamkeit?“ Das Küchenverbot für Eltern hatte Frau Bernhard, die in der Küche die Kids anleitet, gar nicht geplant. Aber die 7 Kinder im Alter von 4 bis 9 Jahren waren sich sofort einig: Das Ansinnen der Eltern, die Kinder mal zwischendurch in der Küche zu besuchen, muss abgelehnt werden. Die Küche ist jetzt Kinderterrain! Eltern nicht zugelassen! Erst als ein wunderbares Frühstückbuffet fertig angerichtet ist, dürfen die Erwachsenen kommen, schauen, staunen – und genießen! Frau Bernhard lobt ausdrücklich die 9-jährige Sophie, die ihr in der Küche mit den vielen doch noch sehr kleinen Kindern eine echte Hilfe gewesen sei. „Man merkt, dass Sophie zu Hause oft in der Küche arbeitet! Ohne sie wäre das heute für mich schwer gewesen.“ „Bei uns muss immer der kochen, der zuerst zu Hause ist. Und das ist zweimal in der Woche Sophie“, erzählen die Eltern beim Essen.


Mein Part im Seminar ist es, die Gesprächsrunden der Eltern zu moderieren. Nachdem die Köstlichkeiten, die die Kinder unter Anleitung der Ernährungsfachfrau zubereitet hatten, alle verspeist waren, räumen die Kinder die Küche auf. Die Eltern setzen sich zur Auswertungsrunde zusammen.


„Selbstgebackene Brötchen, Kräuterquark, Marmelade… - toll, was die Kinder uns da aufgetischt haben!“ „Schön, zu sehen, wie stolz die Kinder waren!“ „Köstlich und gesund dieses Frühstück!“ „Ein schöner Vormittag, die Kinder waren beschäftigt und die Erwachsenen konnten sich mal in Ruhe unterhalten.“ Nachdem die Begeisterung ausgetauscht war, kommen auch Bedenken. „Hier kann man die Kinder kochen lassen, sie werden fachgerecht angeleitet, aber im Alltag habe ich doch keine Zeit dazu“, sagt eine Mutter. „Wenn ich es selbst mache, geht es schneller!“ spricht eine andere Mutter den typischen Satz aus, den wohl alle Eltern kennen. „Und das Chaos anschließend in der Küche? Nee, zu Hause will ich die Kinder nicht in der Küche haben!“ „Woher nehmen Sie die guten Nerven, wenn Ihre Kinder zuhause alleine kochen dürfen,“ werden Sophies Eltern angesprochen. „Was heißt hier dürfen? Wir haben die Kinder doch in die Welt gesetzt, damit sie uns den Alltag erleichtern. Kinderarbeit - nicht nur in der dritten Welt, ist meine Devise“ scherzt der Vater.


„Uns hat ein tolles Buch geholfen“, erklärt Sophies Mutter. „Bei der Verbraucherzentrale gibt es „Mahlzeit, Kinder“. Darin ist eine Tabelle, ab welchem Alter Kinder was können. Da steht, dass ein 3-jähriges Kind lernen kann, mit einem scharfen Messer umzugehen. Mit 8 Jahren kommen dort schon die letzten Küchenlektionen.“ „Ja, bei uns haben alle 3 Kinder von klein auf mitgeholfen – und ziemlich schnell ist das eingetreten, was wir ja auch heute erlebt haben: Wir wollen alleine kochen!“, erzählt der Vater weiter. „Du warst da ziemlich cool“, sagt nun Sophies Mutter. „Ich war ängstlicher als mein Mann – ich habe immer erst ein paar Mal mit den Kindern ausprobiert, ob sie wirklich schon mit heißem Wasser, heißem Fett, dem Mix-Stab usw. zu recht kommen. Aber mein Mann hat mich dann immer überzeugt, dass die Kinder ja auch einen eigenen Überlebenswillen haben. Und dass sie umso geschickter sind, je früher sie es üben.“ „Bis die Kinder in die Schule kommen, lässt man sie doch sowieso noch nicht so viel alleine. In dieser Zeit haben wir sie angelernt – und jetzt hat sich unser Einsatz voll amortisiert“. Sophies Mutter lacht: „So drückt es der Geschäftsmann aus. Aber es ist wahr: Wenn unsere Kinder im Alltag nicht selbständig mittun würden, könnten wir nicht beide voll berufstätig sein.“ Da fliegt die Tür auf und 7 Heinzelmännchen fegen herein: „Fertig aufgeräumt. Die Küche ist sauber!“ rufen sie durcheinander. „Zuhause mach ich morgen das Frühstück – alleine, aber Du sollst aufräumen“, ruft das Kind, dessen Mutter die Angst vor dem Küchenchaos hatte. Sophies Vater kommt ihr zu Hilfe: „Bei uns gilt für Kinder unter 6 Jahren Arbeitsteilung: Wer schon das Essen macht, muss nicht auch noch aufräumen.“

Beate Allmenröder

17. Vom Ende her denken

„Das gefällt mir: In Laubach gibt es eine Initiative, die Flüchtlingen die Möglichkeit gibt, zu arbeiten!“, sagt mein Freund Peter, der wach das Zeitgeschehen beobachtet. „Sonst sind Flüchtlinge ja zum Nichtstun verdonnert. Da sind sie endlich nach schrecklichen Erlebnissen in Sicherheit, viele schwer traumatisiert, dürfen aber mehrere Monate nichts tun! Was stabilisiert einen Menschen denn mehr als eine sinnvolle Aufgabe?!“, empört sich der Freund. „Wenn sie nicht schon psychisch krank sind, spätestens nach dieser Zeit sinnlosen Wartens werden sie es sein! Und dabei sind das häufig hochqualifizierte Menschen, die uns nicht zur Last fallen wollen und gerne etwas zurückgeben würden“.

„Wer keine Aufgabe hat, wird zur Aufgabe.“ Das gilt für alle Menschen. (Foto: M. Ihle)


Noch ehe ich ihm beipflichten kann, wechselt er das Thema: „Du sagst ja auch immer: Wer keine Aufgabe hat, wird zur Aufgabe. Aber dass Du das auf Kinder beziehst, fand ich seltsam.“

Er bezieht sich auf meine Artikel, die die Gießener Allgemeine im Frühsommer samstags veröffentlicht hatte. „Warum hast Du mit Deiner Reihe überhaupt aufgehört?“ „Na ja, der Beruf in der Schule geht vor. Da ist am Schuljahresende besonders viel los.“


„Kinder haben doch schon viele Aufgaben: Schule, Zimmer-Aufräumen, Sport-Training? Warum reicht Dir das nicht? Warum forderst Du in Deinen Texten, dass sie auch noch Hausarbeit machen sollen?“ nimmt er den Faden wieder auf. „Das ist wie bei den Flüchtlingen:“, entgegne ich. „Sie haben auch Aufgaben: Deutsch-Lernen, den Alltag organisieren, Kriegs- und Fluchterfahrungen verarbeiten... Warum sollen sie noch zusätzlich arbeiten, wie Du es forderst?“ „Weil es langfristig gesünder ist, wenn man das Gefühl hat, gebraucht zu werden. Weil es zufriedener macht, wenn man anderen etwas geben kann und nicht nur auf ihre Kosten lebt!“, antwortet Peter lebenserfahren. “Genau das gilt auch für Kinder. Ein Kind, das das eigene Zimmer aufräumen soll, murrt und hat keine Lust. Wenn Du ihm aber auf einem Straßenfest einen Korb in die Hand drückst und es bittest, die leeren Gläser und Flaschen bei den Leuten einzusammeln, arbeitet es stundenlang mit Eifer. Warum? Weil es etwas für andere tut! Weil sich Menschen über seine Arbeit freuen. Genauso kochen die meisten Kinder gerne. Oder mähen den Rasen... Aber oft lassen wir sie nicht. Weil wir Angst haben, dass sie sich dabei verletzen oder dass sie es nicht gut genug machen.“ „Oder weil wir sie schonen wollen“, fällt mir Peter ins Wort. „Bei uns war das der Hauptgrund. Wir wollten ihnen den Rücken für die Schule frei halten. Aber inzwischen ist mir deutlich geworden, dass wir zu kurzfristig gedacht haben. Wie die Politiker, die die Gesetze für die Flüchtlinge machen. Für das Arbeitsverbot gibt es sicherlich auch gute kurzfristige Gründe. Aber vom Ende her gedacht, ist das falsch. Bei meinen Kindern bin ich jetzt auch klüger: Nun, da sie flügge geworden sind, beklagen sie sich, dass ihnen so manche „Life-skills“ fehlen. Dass sie Einkaufen, Kochen und Haushaltsführung auch einüben müssen, das ist uns irgendwie gar nicht in den Sinn gekommen.“


„Eure Kinder sind ja gut geraten, das mit dem Haushalt werden sie schon noch lernen“, gebe ich ihm Rückmeldung zu seinem durchaus entzückenden Nachwuchs. „Und warum sind unsere „geschonten“ Kinder nach Deiner Theorie dennoch gut geraten?“, lästert er. „Ich vermute, weil Eure Kinder zwar wenig im Haushalt, dafür aber in anderen Bereichen Verantwortung übernommen haben: Ehrenamtlich im Sportverein, bei der Feuerwehr und im Schulorchester. Das sind auch Aufgaben, die regelmäßige Verlässlichkeit und Verantwortungsübernahme fordern und fördern! Die stolz und selbstbewusst machen. Die die Erfahrung vermitteln, schwierige Situationen und Herausforderungen mit eigener Anstrengung meistern zu können.“


„Etwas für andere tun, Verantwortung übernehmen, stolz sein können – all das fördert eine zufriedene Persönlichkeit. Das gilt für Flüchtlinge und für Kinder genauso wie für alle anderen Menschen auch.“, fasst Peter unser Gespräch gut zusammen. „Man muss eben nur vom Ende her denken!“

„Schreibst Du noch mehr Artikel?“ Mein Nicken macht Peter neugierig: „Um was wird es als nächstes gehen?“ „Über Deine schöne Formulierung: Vom Ende her denken. Ich lese nämlich gerade das Buch „Darm mit Charme“. „Aha, schönes Thema: Was hinten dabei herauskommt.“, verabschiedet sich mein Freund mit sprachspielerischem Schalk.

Beate Allmenröder



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18. Rohkost-Mandala und Gute-Laune-Party

„Was die Kinder selbst zubereitet haben, essen sie meistens gerne.“,

meint Lisa. (Foto: M. Ihle)

„Ich bin eine Einkaufswagen-Guckerin!“, so stellt sich Lisa (17 J.) zu Beginn des neuen Schuljahres bei einer Kennenlern-Übung in der Klasse vor. „Einkaufswagen-Guckerin???“ „Ich schaue beim Einkaufen immer in die Wagen der anderen Leute und bin fassungslos, was die alles kaufen.“, erklärt Lisa und ist bei ihrem Lieblingsthema. Sie kennt sich mit Ernährung so gut aus, als hätte sie ihr geplantes, ernährungswissenschaftliches Studium bereits abgeschlossen. Im Laufe des Schuljahres zeigt sie, dass sie ihre Kenntnisse für sich selbst konsequent umsetzt: Sie verspeist Unmengen an frischem Gemüse und vermeidet Weißmehl-Produkte, allein Vollkornprodukte enthält ihr Speiseplan. Zucker „kommt ihr nicht in die Tüte“. Während des Schuljahres erfahren wir immer wieder – gefragt und ungefragt – viele Details ihres ernährungsspezifischen Fachwissens.


Am Ende des Schuljahres ist Lisa Jahrgangsbeste in allen Fächern! Sie scheint dieses gute Ergebnis mit Fröhlichkeit und Leichtigkeit erreicht zu haben. Während die anderen Schüler und Schülerinnen oft über den Schulstress jammerten, wirkte Lisa meistens zufrieden und entspannt. Als ich ihr beim Abschied gratulierend die Hand schüttele, drängt sich mir unwillkürlich der Gedanke auf, ob ihre Fröhlichkeit und ihr gutes Zeugnis mit ihrer Ernährung zu tun haben. Eine gewagte These – ich weiß es wohl!


Da ich nun den Bestseller „Darm mit Charme“ von Giulia Enders gelesen habe, erscheint mir mein spontaner Gedanke bei Lisas Verabschiedung weniger abwegig. In diesem vergnüglich zu lesendem Buch beschreibt die junge Medizinerin, wie der Darm unsere Laune, unsere Leistungsfähigkeit und unser Denkvermögen beeinflusse. Das habe die Wissenschaft lange unterschätzt. Wie der Darm das tue, sei vor allem von unserer Ernährung abhängig. Was Giulia Enders so spannend wie wissenschaftlich erklärt, hat uns Lisa vorgelebt. Was die junge Wissenschaftlerin besonders eindrucksvoll beschreibt, ist, wie unser Darm von guten und von schlechten Bakterien besiedelt sei: Wenn da viele von den guten leben, geht es uns gut und wir sind guter Laune. Um viele von den guten Bakterien zu bekommen, müssen wir sie füttern. Auch mit Mikroben, wie sie sich in Joghurt, Sauerkraut und anderen fermentierten Lebensmitteln finden. Wenn wir aber Zucker und Weißmehl essen, dann freuen sich die schlechten Bakterien – und feiern eine ganz üble Party in unserem Darm! (Wer mehr erfahren will und keine Lust hat, viel zu lesen, kann sich das auch als Video im Internet ansehen.)


Dass gute Gesundheit langfristig von ausgewogener und vollwertiger Ernährung abhängt, wissen wir schon lange. Aber den Zusammenhang von Ernährung und Stimmung, Lebensgefühl und Erfolg macht Guilia Enders auf lustig zu lesende Weise noch einmal neu deutlich. Vielleicht kann man an Lisa sehen, was Peter Struck (nein, nicht der Politiker, sondern der Erziehungswissenschaftler) vor Jahren schon geschrieben hatte: „Viele Verhaltensauffälligkeiten von Kindern lassen sich allein mit Ernährung steuern und überwinden“.


Allein – wie bekommt man Kinder dazu, die gute Party im Darm zu bedienen? Lisa verrät mir gerne das „Rezept“ ihrer Eltern. Im Wesentlichen heißt es: Was die Kinder selbst zubereitet haben, essen sie meistens gerne. Und im Besonderen erzählt Lisa vom „Rohkost-Mandala“. Sie und ihre Geschwister „dürfen“ vor jeder Mahlzeit aus Obst- und Gemüsestücken einen bunten Teller legen. „Sie glauben gar nicht, was für Kunstwerke wir da immer aus Kohlrabi, Broccoli-Röschen, Kiwi-Scheiben, Radieschen, Apfelschnitzen usw. kreieren. So haben uns unsere Eltern schon von klein auf dazu gebracht, sogar rohen Blumenkohl und Sellerie zu essen“, gibt sie mir gerne die Idee ihrer Eltern preis. „Rohkost gibt es bei uns vor jeder Mahlzeit. Wenn es schnell gehen muss, dann machen wir halt kein Mandala daraus,“ fügt sie eifrig hinzu. „Geht viel schneller, als einen Salat zu machen. Und man hat immer was Gesundes im Bauch, bevor man etwas anderes isst.“ Beim Thema „Ernährung“ hat sie eine Mission.


Seit Lisas überraschender Selbstvorstellung schaue ich nun selber oft in die Einkaufswagen meiner Mitmenschen. Kein Wunder, dass wir Deutschen nicht unbedingt als bestgelauntes Volk gelten!

Beate Allmenröder

19. Helikopter-Eltern

„Habt ihr neulich zum Schulanfang das Frankfurter Helikopter-Eltern-Filmchen gesehen?“, fragt in gemütlicher Runde meine Freundin Karola. „Oh nein, bitte nicht schon wieder ein Erziehungsthema, liebe Karola“, antwortet Peter, den wir dafür lieben, dass er immer sagt, was er denkt. „Ich will wissen, was das für ein Film ist. Ich mag Karolas Erziehungstheorien,“ hält Uwe dagegen. „Du hast doch gar keine Kinder! Warum willst Du immer diese Erziehungsdiskussionen führen?“ wendet sich Gisela an Uwe. „Na, weil er keine Kinder hat, mag er diese Diskussionen,“ grinst Peter in die Runde.

Früh übt sich, wer auf eigenen Beinen stehen will (Foto: M. Ihle)


„Uns, die wir Kinder haben, deprimiert Karola mit dem, was sie sagt. Weil sie ja auch manchmal recht hat. - Also los, Karola, erzähl! Wir können Dich sowieso nicht abhalten“, charakterisiert Peter Karola treffend. Sie nimmt das nicht übel, sondern beginnt zu erzählen. „In einem kleinen Film wird gezeigt, wie Kinder alleine zu Fuß zur Schule kommen. Aber dann wird ein Junge von seinem Vater mit dem Hubschrauber gebracht. Und bald kreisen lauter Helikopter über dem Schulhof.“


„Und? Was soll das?“, will Gisela wissen. „Na, ja, es soll die Eltern darin erinnern, dass es viel sinnvoller ist, die Kinder alleine zur Schule laufen zu lassen, als sie mit dem Auto zu fahren,“ springt Uwe Karola bei. „Und das ist auch absolut sinnvoll: Kinder, die laufen, sind klüger, gesünder und ausgeglichener als diejenigen, die mit dem Auto gebracht werden.“ „Am meisten sind Kinder auf dem Schulweg übrigens durch die Eltern gefährdet, die ihre Kids mit dem Auto zu Schule bringen,“ weiß Peter. „Und warum zeigt man dann Hubschrauber und keine Autos?“ fragt wieder Gisela.


„Na – das kann ich Dir gerne erklären“ ereifert sich Uwe, von dem wir alle wissen, dass er Vermieter einer Studenten-WG ist. „Ich glaube, dass meine Studis besser mit dem Leben klar kämen, wenn sie nicht alle Helikopter-Eltern hätten. So nennt man doch die Eltern, die immer sorgenvoll über ihren Kindern kreisen und sofort da sind, wenn sich nur ein kleines Problemchen anbahnt. Übrigens sind alle vier schon wieder ausgezogen.“ Wir sind erstaunt: „Aber Du hast doch erzählt, dass Deine Studenten so nett sind“. „Ja, richtig nett, aber völlig hilflos. Zimmersuche, Mietvertrag, Einzug,… alles mit Eltern. Da war ich noch nicht misstrauisch. Das bin ich erst geworden, als ich gemerkt habe, dass sie keinerlei Verantwortung übernehmen: Mülleimer rausstellen, sauber machen, regelmäßig lüften,… haben sie alles nicht hingekriegt. Aber übers Wochenende wegfahren und 3 Tage und Nächte lang bei Minus 17 Grad das Fenster offen lassen – das ging!“ „Da hast Du sie rausgeschmissen?“ „Nee, war gar nicht nötig: Die eine hat ihr Studium nach 2 Monaten abgebrochen, der zweite wollte doch lieber zurück ins Hotel Mama, die dritte hat gemerkt, dass sie mit anderen nicht klarkommt und lieber alleine wohnen will. Der vierte – eigentlich traurig – ist wohl wegen einer Depression in der Klinik. – Den Auszug haben übrigens bei allen vieren auch wieder die Eltern gemacht.“


„Und was machst Du jetzt mit Deiner Wohnung?“ „Ich vermiete nur noch an Studenten, die ohne Eltern zur Besichtigung und zum Mietvertrag machen kommen.“ „Und wie findest Du die?“ interessiert sich Gisela. „Ich halte mich an die ausländischen Studierenden“, verrät ihr Uwe. „Seit 4 Monaten ist bei mir internationales Wohnen. Klappt prima.“ „Welche Erklärung gibt es denn dafür?“ verwundert sich Gisela.

„Ich vermute, sie sind zu Fuß zur Schule gelaufen“, meldet sich jetzt Karola, unsere Erziehungsexpertin, wieder zu Wort. „Du willst jetzt doch nicht behaupten, dass man Schulanfänger alleine zur Schule laufen lassen muss, damit sie als Studenten eine Wohnung finden?“, zeigt sich Gisela verdutzt. „Doch - genau das will ich behaupten!“, erklärt Karola ganz unbeeindruckt von unseren verblüfften Gesichtern. „Ich denke nämlich mal, dass genau das der Frankfurter Helikopter-Film ausdrücken will. Wobei es ja nicht ums Wohnung-Finden geht, sondern um das Alleine-mit-sich-und-anderen-Zurechtkommen und Nicht-beim-kleinsten-Problem-in-eine-Depression-verfallen. Das müssen die Kinder schon früh lernen!“ „Und die Eltern auch!“ seufze ich, die ich sehr gut weiß, wie gerne man die Kinder vor allen Problemen dieser Welt behüten möchte. Auch wenn sie schon groß sind. Uwe nickt mir zustimmend zu.

Beate Allmenröder



20. „Vom a. K. zum k. A.“*

Ein geschontes Prinzchen? (Foto: M. Ihle)

„Ich habe noch eine Idee für Deine Artikel“, berät mich ein Freund, der seinen Namen hier nicht genannt haben will. Der manchmal zum Sarkasmus neigt – und um dessen Rat ich nicht gefragt hatte. „Ich habe schon die Überschrift, nein, ich habe schon den ganzen Text: *Vom armen Kind zum kleinen Arschloch.“ Ich schaue ihn so empört wie fragend an. „Mehr braucht man doch eigentlich gar nicht zu sagen. Kennst Du sie nicht - diese Kinder und ihre Eltern?

Ach, wissen Sie: Mein armes Kind ist ein Trennungskind, es ist schwerst begabt, es ist unterbegabt, es hat eine Allergie, es hat Leserechtschreib-Schwäche, es ist hyperaktiv,


es hat ADHS, Dyskalkulie, es hat… ach was weiß ich…“, lästert er. Um eifrig fortzufahren: „Und dann werden diese Kinder von allem verschont und von vorne bis hinten bedient. So werden sie - das geht so schnell, so schnell guckst du gar nicht - zu ich-bezogenen, lebensunfähigen, wichtigtuerischen Prinzen und Prinzessinnen. Und die Eltern kommen ihr Leben lang nicht mehr aus der Rolle des allzeit dienenden Hofstaates heraus. Irgendwann hassen sie ihre eigenen Kinder. Spätestens ab der Pubertät.“ Ich nicke. Ja, doch, ich kenne sie. Solche Kinder und ihre Eltern. Schließlich arbeite ich in der Schule. „Du bist böse“, antworte ich. „Es gibt Kinder, die es wirklich schwer haben. Außerdem tun die Eltern es in allerbester Absicht.“ „Alle Eltern wollen das Beste für ihre Kinder. Aber es müsste ihnen rechtzeitig jemand sagen, wo das hinführt.“ „Da bin ich gespannt, was die Gießener Allgemeine sagt, wenn ich diese Lieferung abgebe. Heute mal keine 4000 Zeichen. Die Überschrift muss genügen. Tipp von einem Freund.“ Wir müssen lachen.


Aber mir fällt meine Zeit im Heilerziehungsheim im fränkischen Neuendettelsau (das Dorf heißt wirklich so und ist Standort verschiedener Institutionen der bayrischen Diakonie) wieder ein. Dort habe ich in einer Gruppe behinderter Kinder mein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert. Vor mehr als 30 Jahren. Die Gruppe wurde geleitet von Schwester Elisabeth – einer wunderbaren Frau. Von ihr habe ich zum ersten Mal den Satz gehört: „Tue nie etwas für ein Kind, was es auch selbst tun kann“. Ich war jung, voller Hilfsbereitschaft – und überzeugt, dass ich diesen „armen Kindern“ helfen könnte. So war ich sehr verblüfft, als mir am ersten Tag die 8-jährige Saskia mit einem strahlend-stolzen Lächeln einen Schokoladenpudding servierte. „Hab‘ fei ich gmacht“ erklärte mir das Down-Syndrom-Kind in breitem Fränkisch. Schwester Elisabeth – fast genauso stolz – wie das Kind, sah meinen skeptischen Blick: „Sie können das essen. Saskia ist Pudding-Queen. Sie kocht Pudding seit sie 4 Jahre alt ist. Mit Leidenschaft.“ Tatsächlich: ein köstlicher Pudding! So habe in diesem Jahr weniger ich den Kindern geholfen, sondern die Kinder – sowie ihre hochprofessionellen Erzieherinnen – haben mir geholfen. Nämlich zu verstehen, dass ein Mensch immer dann am glücklichsten wird, wenn er sein volles Potential entfalten kann. „Das gilt erst recht für diese Kinder!“ erklärte mir Schwester Elisabeth gleich zu Beginn den heilpädagogischen Grundsatz – und schaute mich intensiv an. Sie wollte wissen, ob ich das wirklich begriffen habe. „Potential haben sie meistens viel mehr – und oft auch ganz woanders - als Eltern und manche Lehrer vermuten.“ Saskia hat den Drei-Satz in ihrem ganzen Leben in der Theorie wohl nicht verstanden. Aber das Puddingrezept auf ein, vier oder 16 Personen umzurechnen - das hat sie schon als 8-jährige geschafft. Bis 200 zählen konnte sie nicht fehlerfrei. Aber man konnte sie mit 200 Mark zur Heimleitung schicken und sicher sein, dass sie die abliefert. Und dass sie die Bedeutung dieses Auftrages begreift. Entsprechend stolz und glücklich kam sie nämlich zurück.

In diesem Jahr habe ich mich oft zunächst gewundert, wenn nicht sogar erschrocken, wenn ich gesehen habe, welche hohen Anforderungen die Betreuerinnen an die Kinder gestellt haben. Um dann gegen Ende des Jahres genauso so stolz zu sein wie Schwester Elisabeth, wenn ich gesehen habe, dass „unsere armen“ Kinder so manches früher konnten als „normale“ Kinder.

„Siehst Du, sag ich doch“, meint der Freund, nachdem ich ihm meine Erinnerungen geschildert habe, „wer sein Kind auch in der Pubertät noch lieben will, sollte es von Anfang an nicht schonen. Puddingkochen mit 4 Jahren – das ist Hoch- und Minderbegabten-Förderung in einem.“

Beate Allmenröder

21. Am Punkt des geringsten Unbehagens

„Nein! Heute habe ich wirklich keine Lust auf Kinder!“ Das ist mein erster Gedanke, als ich beim Betreten des Wohnzimmers das kleine Kind erblicke. Ich bin einfach zu erschöpft...

 

„Zum gemütlichen Kaffeetrinken im Kreise lieber Freundinnen“ war ich eingeladen. Den Nachmittag hatte ich mir von allem freigehalten, weil wir im Alltag so wenig zum Miteinander-Schwätzen kommen. Und jetzt hat Susanne ihr kleines Kind mitgebracht. Das passt mir gar nicht.

Das hört sich gut an. Aber in der Praxis?“ (Foto: M. Ihle)


Am Ende des Nachmittags denke ich anders! Mein Sinneswandel beginnt schon, als Mäxchen mir freundlich grinsend entgegenkommt und mir sein Händchen zur Begrüßung entgegenstreckt. Das Kind ist 17 Monate alt. Kurze Zeit darauf beobachte ich, wie es mit einem trockenen Brötchen aufs Sofa krabbelt, um es sich dort gemütlich zu machen und still am Brötchen zu mümmeln. Ich kann daran nichts Falsches entdecken, aber als seine Mutter das sieht, bittet sie ihn ganz freundlich, herunterzukommen und sich auf einen Stuhl zu setzen. „Du machst sonst das Sofa schmutzig“. Das Kerlchen erscheint mir winzig und ich denke mir, dass es das jetzt nicht verstanden hat. Aber es reagiert sofort. Genauso mühsam, wie es gerade das Sofa erklommen hat, beginnt es – das Brötchen vorsichtig in einer Hand haltend – wieder hinabzuklettern. In aller Seelenruhe - und offensichtlich im Wissen, dass seine Mutter das kein zweites Mal sagen wird.

 

Das Kind ist ein echter Wonneproppen. Es gibt noch mehrere solcher Situationen am Nachmittag. Die Mutter hat ihn im Blick und schreitet ohne aufzustehen – freundlich, aber klar - bei kaum erkennbarem Fehlverhalten ein. Max reagiert sofort und scheinbar stoisch. Er kommuniziert freundlich und entspannt mit uns, den für ihn fremden Frauen, und kichert ausgelassen bei Hoppehoppereiter. Er stört und quengelt nicht, zieht unsere Aufmerksamkeit höchstens mit seiner Fröhlichkeit auf sich. So ist er sogar eine echte Bereicherung dieses Frauennachmittags, ohne sich dabei in den Mittelpunkt zu schieben. Er ist einfach dabei als einziger „Mann“ beim Frauenkränzchen und lässt uns schwätzen und das Miteinander genießen. Selbst seine Mutter kann sich den Frauengesprächen widmen.

 

Beim Abschied spreche ich Susanne auf ihren wohlerzogenen Sohn an. Und Karin, die im Flur dabeisteht, sagt: „Du bist schon ganz schön streng mit Deinem Sohn.“ „Weil ich schon so viele nervige Kinder erlebt hatte, wollte ich erst gar keine Kinder haben.“, erklärt Susanne. „Das hat mich richtig belastet, so dass wir während der Schwangerschaft nach Ursachen und Lösungen gesucht haben. Ich wollte, dass sich mein Kind so benimmt, dass es mir eine Freude ist.“ „Das wollen doch alle Eltern!“, denke ich nur. „Und dann hat mir meine Hebamme einen Satz mit auf den Weg gegeben, der sich bisher bewährt hat: 'Achte auf Dein Unbehagen!', hat sie gesagt. 'Wenn Du beim Punkt des geringsten Unbehagens agierst, dann wird Dein Kind schnell wissen, was richtig und was falsch ist, und in Dir staut sich kein Genervt-Sein und keine Wut auf. Wenn es den Eltern gut geht, geht es auch den Kindern gut.“

 

Karin und ich sind beeindruckt von dieser pädagogischen Theorie. Das hört sich gut an. Aber in der Praxis? In meine skeptischen Gedanken meint Karin: „Ich muss schon sagen, dass Ihr, Du und Max, wirklich einen ausgeglichenen Eindruck macht.“ - und bestätigt damit auch meine Beobachtung. „Am Punkt des geringsten Unbehagens agieren!“, wiederhole ich. „Ich kenne den Satz aus dem Frauen-Selbstverteidigungstraining“, meint Karin. „Interessant!Besteht nicht das ganze Mutter-Sein aus Selbstverteidigung?“, kichert Susanne. „Meistens schlucke ich erst mal alles, was mir nicht passt, runter, weil ich ja nicht immer die strenge Meckertante sein will. Irgendwann platze ich dann vor Wut. Und ärgere mich dann mehr über mich als über meine Kids. So laufe ich dann als überforderte Mutter mit schlechtem Gewissen durch die Welt.“ „Ja, diesen Punkt nicht zu übergehen, fällt mir auch nicht immer leicht.“, erläutert Susanne. „Zuerst dachte ich, Max sei doch noch viel zu klein. Und er macht das ja auch nicht extra... So habe ich dann mein Unbehagen oft übergangen. Aber inzwischen gelingt mir das schon besser: Ich weise ihn nur ganz ruhig auf die Störung hin – und uns beiden geht es damit ganz ok...“

 

Beim Abschied wirken Susanne und ihr Mäxchen recht zufrieden. „Wenn es den Eltern gut geht, geht es auch den Kindern gut...“, murmele ich auf dem Nachhauseweg.

 

Beate Allmenröder  (4. April 2015)