19. Helikopter-Eltern

„Habt ihr neulich zum Schulanfang das Frankfurter Helikopter-Eltern-Filmchen gesehen?“, fragt in gemütlicher Runde meine Freundin Karola. „Oh nein, bitte nicht schon wieder ein Erziehungsthema, liebe Karola“, antwortet Peter, den wir dafür lieben, dass er immer sagt, was er denkt. „Ich will wissen, was das für ein Film ist. Ich mag Karolas Erziehungstheorien,“ hält Uwe dagegen. „Du hast doch gar keine Kinder! Warum willst Du immer diese Erziehungsdiskussionen führen?“ wendet sich Gisela an Uwe. „Na, weil er keine Kinder hat, mag er diese Diskussionen,“ grinst Peter in die Runde.

Früh übt sich, wer auf eigenen Beinen stehen will (Foto: M. Ihle)


„Uns, die wir Kinder haben, deprimiert Karola mit dem, was sie sagt. Weil sie ja auch manchmal recht hat. - Also los, Karola, erzähl! Wir können Dich sowieso nicht abhalten“, charakterisiert Peter Karola treffend. Sie nimmt das nicht übel, sondern beginnt zu erzählen. „In einem kleinen Film wird gezeigt, wie Kinder alleine zu Fuß zur Schule kommen. Aber dann wird ein Junge von seinem Vater mit dem Hubschrauber gebracht. Und bald kreisen lauter Helikopter über dem Schulhof.“


„Und? Was soll das?“, will Gisela wissen. „Na, ja, es soll die Eltern darin erinnern, dass es viel sinnvoller ist, die Kinder alleine zur Schule laufen zu lassen, als sie mit dem Auto zu fahren,“ springt Uwe Karola bei. „Und das ist auch absolut sinnvoll: Kinder, die laufen, sind klüger, gesünder und ausgeglichener als diejenigen, die mit dem Auto gebracht werden.“ „Am meisten sind Kinder auf dem Schulweg übrigens durch die Eltern gefährdet, die ihre Kids mit dem Auto zu Schule bringen,“ weiß Peter. „Und warum zeigt man dann Hubschrauber und keine Autos?“ fragt wieder Gisela.


„Na – das kann ich Dir gerne erklären“ ereifert sich Uwe, von dem wir alle wissen, dass er Vermieter einer Studenten-WG ist. „Ich glaube, dass meine Studis besser mit dem Leben klar kämen, wenn sie nicht alle Helikopter-Eltern hätten. So nennt man doch die Eltern, die immer sorgenvoll über ihren Kindern kreisen und sofort da sind, wenn sich nur ein kleines Problemchen anbahnt. Übrigens sind alle vier schon wieder ausgezogen.“ Wir sind erstaunt: „Aber Du hast doch erzählt, dass Deine Studenten so nett sind“. „Ja, richtig nett, aber völlig hilflos. Zimmersuche, Mietvertrag, Einzug,… alles mit Eltern. Da war ich noch nicht misstrauisch. Das bin ich erst geworden, als ich gemerkt habe, dass sie keinerlei Verantwortung übernehmen: Mülleimer rausstellen, sauber machen, regelmäßig lüften,… haben sie alles nicht hingekriegt. Aber übers Wochenende wegfahren und 3 Tage und Nächte lang bei Minus 17 Grad das Fenster offen lassen – das ging!“ „Da hast Du sie rausgeschmissen?“ „Nee, war gar nicht nötig: Die eine hat ihr Studium nach 2 Monaten abgebrochen, der zweite wollte doch lieber zurück ins Hotel Mama, die dritte hat gemerkt, dass sie mit anderen nicht klarkommt und lieber alleine wohnen will. Der vierte – eigentlich traurig – ist wohl wegen einer Depression in der Klinik. – Den Auszug haben übrigens bei allen vieren auch wieder die Eltern gemacht.“


„Und was machst Du jetzt mit Deiner Wohnung?“ „Ich vermiete nur noch an Studenten, die ohne Eltern zur Besichtigung und zum Mietvertrag machen kommen.“ „Und wie findest Du die?“ interessiert sich Gisela. „Ich halte mich an die ausländischen Studierenden“, verrät ihr Uwe. „Seit 4 Monaten ist bei mir internationales Wohnen. Klappt prima.“ „Welche Erklärung gibt es denn dafür?“ verwundert sich Gisela.

„Ich vermute, sie sind zu Fuß zur Schule gelaufen“, meldet sich jetzt Karola, unsere Erziehungsexpertin, wieder zu Wort. „Du willst jetzt doch nicht behaupten, dass man Schulanfänger alleine zur Schule laufen lassen muss, damit sie als Studenten eine Wohnung finden?“, zeigt sich Gisela verdutzt. „Doch - genau das will ich behaupten!“, erklärt Karola ganz unbeeindruckt von unseren verblüfften Gesichtern. „Ich denke nämlich mal, dass genau das der Frankfurter Helikopter-Film ausdrücken will. Wobei es ja nicht ums Wohnung-Finden geht, sondern um das Alleine-mit-sich-und-anderen-Zurechtkommen und Nicht-beim-kleinsten-Problem-in-eine-Depression-verfallen. Das müssen die Kinder schon früh lernen!“ „Und die Eltern auch!“ seufze ich, die ich sehr gut weiß, wie gerne man die Kinder vor allen Problemen dieser Welt behüten möchte. Auch wenn sie schon groß sind. Uwe nickt mir zustimmend zu.

Beate Allmenröder