1. Verliebte Spaghetti - Von Alltagskompetenzen und Selbstwirksamkeit

Richtige Mitarbeit im Haushalt macht Kinder stolz und selbstbewusst (Foto: M.Ihle)

Vor vielen Jahren in Heidelberg: Ein sehr sympathischer, junger Mann hat mich zum Essen in sein Studenten-Dachzimmer eingeladen. Wir plaudern angeregt, auf der Kochplatte köchelt es. Immer wieder einmal rührt der junge Mann im Kochtopf – nach einiger Zeit fragt er: „Jetzt kochen die Spaghetti schon fast eine ganze Stunde und immer noch ist Wasser im Topf: Wie lange muss man Nudeln denn kochen?“

 


30 Jahre später: Meine Söhne machen ihre ersten WG-Erfahrungen. Ich habe viele Jahre des Unterrichtens in einer Berufsschule hinter mir. Meine Söhne erzählen, dass es mit den Haushaltserfahrungen ihrer Mitbewohner_innen nicht besser geworden zu sein scheint. Immer noch so, wie ich es damals erlebt habe. In der Berufsschule erlebe ich immer wieder Schüler_innen, die offensichtlich kaum Kocherfahrungen haben: Bei Selbstversorger-Klassenfahrten ermöglichen wir offensichtlich manchen jungen Erwachsenen beim Küchendienst den Erstkontakt mit dem ungekochten Lebensmittel.

 

So sitze ich jetzt wieder in einem Zimmer fast unter dem Dach in einer Universitätsstadt: Dieses Mal in Gießen im Zimmer von Frau Professor Uta Meier-Gräwe, Haushalts- und Familienwissenschaftlerin. Ja - die Wissenschaft habe es festgestellt, sagt sie, mit den Haushaltskenntnissen junger Männer sei es seit meinen ersten Begegnungen als junge Studentin nicht besser geworden. Im Gegenteil: Die Alltagskompetenzen junger Männer, aber auch die junger Frauen, seien seitdem messbar gesunken. Auf das berufliche Leben vorbereiten – das wollen Kitas, Schulen und Universitäten. Aber all das andere: Sich selbst und eine Familie gesund ernähren, einen Haushalt führen, Geld geschickt einteilen, eine Lampe aufhängen, Reparaturen im Haushalt erledigen - das wird nirgendwo systematisch gelehrt und gelernt. Ob das nicht mindestens genauso wichtig sei im Leben? fragt die lebenserfahrene Professorin. Nicht wenige junge Ehen scheiterten nämlich auch am Ungeübt-Sein im Haushalt und am Stress, der daraus entsteht.

 

Und – fährt Frau Prof. Meier-Gräwe fort – eine andere Folge ist dann doch auch, dass die Kinder nicht gesund ernährt sind und viele Krankheiten alleine dadurch entstehen.

 

„Mama, wir haben das mit dem Kochen und Putzen doch auch irgendwie gelernt. Du solltest vielleicht mal aufschreiben, wie du das gemacht hast“, schlagen mir meine Söhne vor. Ja – mit Mutterstolz – oder Mutterblindheit? – bilde ich mir ein, dass ich meine Jungs diesbezüglich gut aufs Leben vorbereitet habe. Dank guter Freundinnen, Nachbarn und anderer Unterstützer! Durch glückliche Zufälle bin ich immer wieder Menschen begegnet, die keine Scheu hatten, mich – oft genug gegen meinen anfänglichen Widerstand! – darauf hinzuweisen, wie wichtig es sei, die Kinder immer altersgerecht an familiären Aufgaben zu beteiligen.

 

Bevor ich mich ans Aufschreiben gemacht habe, habe ich dann also Schüler und Schülerinnen sowie Kinder und Jugendliche in meinem persönlichem Umfeld bewusst beobachtet, habe vieles gelesen und mit pädagogischen und psychotherapeutischen Fachleuten gesprochen. Inzwischen bin ich überzeugt, dass die regelmäßige Mitarbeit im Haushalt einige wichtige Funktionen beim Heranwachsen hat: Nicht nur, dass die Kinder die Alltagskompetenzen erwerben, die ihnen später einmal das selbständige Leben ermöglichen. Es trägt offensichtlich auch wesentlich zu ihrer psychischen Stabilität bei, wenn Kinder Aufgaben übernehmen, die in ihrem sozialen Umfeld von Bedeutung sind. Diese Erfahrungen von Selbstwirksamkeit helfen, dass sie nicht zuletzt unproblematischer durch die Pubertät kommen. Außerdem entwickeln sie körperliches Geschick, Kreativität und stärken ihre kognitiven Fähigkeiten durch verschiedene Alltagsaufgaben. So dass – ich wage die Behauptung – das sogar häufig positive Auswirkungen auf die schulischen Leistungen hat.

 

Ich werde also hier in der nächsten Zeit – wie meine Söhne mir vorgeschlagen haben – versuchen, Folgendes in kleinen anschaulichen Geschichten aus unserer persönlichen Erfahrung aufzuschreiben:

  •  Wie können berufstätige Eltern es schaffen, ihre Kinder an den alltäglichen Familienaufgaben zu beteiligen?
  • Welche Aufgaben und wie viel Selbstständigkeit sind altersgerecht?
  • Wie lehren wir sie, sich gesund zu ernähren?
  • Wie können wir dabei auch gerade die Söhne miteinbeziehen, damit sie später einmal Partner werden, die in der Bedienung eines Putzgerätes, einer Waschmaschine und eines Kochlöffels genauso fit sind wie in der ihrer elektronischen Geräte?
  • Und vor allem: Warum und wie hilft all das dazu, dass Kinder stark, Eltern entspannt und Familien fröhlich bleiben bzw. werden?

Beate Allmenröder (15. November 2014)