„Nein! Heute habe ich wirklich keine Lust auf Kinder!“ Das ist mein erster Gedanke, als ich beim Betreten des Wohnzimmers das kleine Kind erblicke. Ich bin einfach zu erschöpft...
„Zum gemütlichen Kaffeetrinken im Kreise lieber Freundinnen“ war ich eingeladen. Den Nachmittag hatte ich mir von allem freigehalten, weil wir im Alltag so wenig zum Miteinander-Schwätzen kommen. Und jetzt hat Susanne ihr kleines Kind mitgebracht. Das passt mir gar nicht.
„Das hört sich gut an. Aber in der Praxis?“ (Foto: M. Ihle)
Am Ende des Nachmittags denke ich anders! Mein Sinneswandel beginnt schon, als Mäxchen mir freundlich grinsend entgegenkommt und mir sein Händchen zur Begrüßung entgegenstreckt. Das Kind ist 17 Monate alt. Kurze Zeit darauf beobachte ich, wie es mit einem trockenen Brötchen aufs Sofa krabbelt, um es sich dort gemütlich zu machen und still am Brötchen zu mümmeln. Ich kann daran nichts Falsches entdecken, aber als seine Mutter das sieht, bittet sie ihn ganz freundlich, herunterzukommen und sich auf einen Stuhl zu setzen. „Du machst sonst das Sofa schmutzig“. Das Kerlchen erscheint mir winzig und ich denke mir, dass es das jetzt nicht verstanden hat. Aber es reagiert sofort. Genauso mühsam, wie es gerade das Sofa erklommen hat, beginnt es – das Brötchen vorsichtig in einer Hand haltend – wieder hinabzuklettern. In aller Seelenruhe - und offensichtlich im Wissen, dass seine Mutter das kein zweites Mal sagen wird.
Das Kind ist ein echter Wonneproppen. Es gibt noch mehrere solcher Situationen am Nachmittag. Die Mutter hat ihn im Blick und schreitet ohne aufzustehen – freundlich, aber klar - bei kaum erkennbarem Fehlverhalten ein. Max reagiert sofort und scheinbar stoisch. Er kommuniziert freundlich und entspannt mit uns, den für ihn fremden Frauen, und kichert ausgelassen bei Hoppehoppereiter. Er stört und quengelt nicht, zieht unsere Aufmerksamkeit höchstens mit seiner Fröhlichkeit auf sich. So ist er sogar eine echte Bereicherung dieses Frauennachmittags, ohne sich dabei in den Mittelpunkt zu schieben. Er ist einfach dabei als einziger „Mann“ beim Frauenkränzchen und lässt uns schwätzen und das Miteinander genießen. Selbst seine Mutter kann sich den Frauengesprächen widmen.
Beim Abschied spreche ich Susanne auf ihren wohlerzogenen Sohn an. Und Karin, die im Flur dabeisteht, sagt: „Du bist schon ganz schön streng mit Deinem Sohn.“ „Weil ich schon so viele nervige Kinder erlebt hatte, wollte ich erst gar keine Kinder haben.“, erklärt Susanne. „Das hat mich richtig belastet, so dass wir während der Schwangerschaft nach Ursachen und Lösungen gesucht haben. Ich wollte, dass sich mein Kind so benimmt, dass es mir eine Freude ist.“ „Das wollen doch alle Eltern!“, denke ich nur. „Und dann hat mir meine Hebamme einen Satz mit auf den Weg gegeben, der sich bisher bewährt hat: 'Achte auf Dein Unbehagen!', hat sie gesagt. 'Wenn Du beim Punkt des geringsten Unbehagens agierst, dann wird Dein Kind schnell wissen, was richtig und was falsch ist, und in Dir staut sich kein Genervt-Sein und keine Wut auf. Wenn es den Eltern gut geht, geht es auch den Kindern gut.“
Karin und ich sind beeindruckt von dieser pädagogischen Theorie. Das hört sich gut an. Aber in der Praxis? In meine skeptischen Gedanken meint Karin: „Ich muss schon sagen, dass Ihr, Du und Max, wirklich einen ausgeglichenen Eindruck macht.“ - und bestätigt damit auch meine Beobachtung. „Am Punkt des geringsten Unbehagens agieren!“, wiederhole ich. „Ich kenne den Satz aus dem Frauen-Selbstverteidigungstraining“, meint Karin. „Interessant!Besteht nicht das ganze Mutter-Sein aus Selbstverteidigung?“, kichert Susanne. „Meistens schlucke ich erst mal alles, was mir nicht passt, runter, weil ich ja nicht immer die strenge Meckertante sein will. Irgendwann platze ich dann vor Wut. Und ärgere mich dann mehr über mich als über meine Kids. So laufe ich dann als überforderte Mutter mit schlechtem Gewissen durch die Welt.“ „Ja, diesen Punkt nicht zu übergehen, fällt mir auch nicht immer leicht.“, erläutert Susanne. „Zuerst dachte ich, Max sei doch noch viel zu klein. Und er macht das ja auch nicht extra... So habe ich dann mein Unbehagen oft übergangen. Aber inzwischen gelingt mir das schon besser: Ich weise ihn nur ganz ruhig auf die Störung hin – und uns beiden geht es damit ganz ok...“
Beim Abschied wirken Susanne und ihr Mäxchen recht zufrieden. „Wenn es den Eltern gut geht, geht es auch den Kindern gut...“, murmele ich auf dem Nachhauseweg.
Beate Allmenröder (4. April 2015)