17. Vom Ende her denken

„Das gefällt mir: In Laubach gibt es eine Initiative, die Flüchtlingen die Möglichkeit gibt, zu arbeiten!“, sagt mein Freund Peter, der wach das Zeitgeschehen beobachtet. „Sonst sind Flüchtlinge ja zum Nichtstun verdonnert. Da sind sie endlich nach schrecklichen Erlebnissen in Sicherheit, viele schwer traumatisiert, dürfen aber mehrere Monate nichts tun! Was stabilisiert einen Menschen denn mehr als eine sinnvolle Aufgabe?!“, empört sich der Freund. „Wenn sie nicht schon psychisch krank sind, spätestens nach dieser Zeit sinnlosen Wartens werden sie es sein! Und dabei sind das häufig hochqualifizierte Menschen, die uns nicht zur Last fallen wollen und gerne etwas zurückgeben würden“.

„Wer keine Aufgabe hat, wird zur Aufgabe.“ Das gilt für alle Menschen. (Foto: M. Ihle)


Noch ehe ich ihm beipflichten kann, wechselt er das Thema: „Du sagst ja auch immer: Wer keine Aufgabe hat, wird zur Aufgabe. Aber dass Du das auf Kinder beziehst, fand ich seltsam.“

Er bezieht sich auf meine Artikel, die die Gießener Allgemeine im Frühsommer samstags veröffentlicht hatte. „Warum hast Du mit Deiner Reihe überhaupt aufgehört?“ „Na ja, der Beruf in der Schule geht vor. Da ist am Schuljahresende besonders viel los.“


„Kinder haben doch schon viele Aufgaben: Schule, Zimmer-Aufräumen, Sport-Training? Warum reicht Dir das nicht? Warum forderst Du in Deinen Texten, dass sie auch noch Hausarbeit machen sollen?“ nimmt er den Faden wieder auf. „Das ist wie bei den Flüchtlingen:“, entgegne ich. „Sie haben auch Aufgaben: Deutsch-Lernen, den Alltag organisieren, Kriegs- und Fluchterfahrungen verarbeiten... Warum sollen sie noch zusätzlich arbeiten, wie Du es forderst?“ „Weil es langfristig gesünder ist, wenn man das Gefühl hat, gebraucht zu werden. Weil es zufriedener macht, wenn man anderen etwas geben kann und nicht nur auf ihre Kosten lebt!“, antwortet Peter lebenserfahren. “Genau das gilt auch für Kinder. Ein Kind, das das eigene Zimmer aufräumen soll, murrt und hat keine Lust. Wenn Du ihm aber auf einem Straßenfest einen Korb in die Hand drückst und es bittest, die leeren Gläser und Flaschen bei den Leuten einzusammeln, arbeitet es stundenlang mit Eifer. Warum? Weil es etwas für andere tut! Weil sich Menschen über seine Arbeit freuen. Genauso kochen die meisten Kinder gerne. Oder mähen den Rasen... Aber oft lassen wir sie nicht. Weil wir Angst haben, dass sie sich dabei verletzen oder dass sie es nicht gut genug machen.“ „Oder weil wir sie schonen wollen“, fällt mir Peter ins Wort. „Bei uns war das der Hauptgrund. Wir wollten ihnen den Rücken für die Schule frei halten. Aber inzwischen ist mir deutlich geworden, dass wir zu kurzfristig gedacht haben. Wie die Politiker, die die Gesetze für die Flüchtlinge machen. Für das Arbeitsverbot gibt es sicherlich auch gute kurzfristige Gründe. Aber vom Ende her gedacht, ist das falsch. Bei meinen Kindern bin ich jetzt auch klüger: Nun, da sie flügge geworden sind, beklagen sie sich, dass ihnen so manche „Life-skills“ fehlen. Dass sie Einkaufen, Kochen und Haushaltsführung auch einüben müssen, das ist uns irgendwie gar nicht in den Sinn gekommen.“


„Eure Kinder sind ja gut geraten, das mit dem Haushalt werden sie schon noch lernen“, gebe ich ihm Rückmeldung zu seinem durchaus entzückenden Nachwuchs. „Und warum sind unsere „geschonten“ Kinder nach Deiner Theorie dennoch gut geraten?“, lästert er. „Ich vermute, weil Eure Kinder zwar wenig im Haushalt, dafür aber in anderen Bereichen Verantwortung übernommen haben: Ehrenamtlich im Sportverein, bei der Feuerwehr und im Schulorchester. Das sind auch Aufgaben, die regelmäßige Verlässlichkeit und Verantwortungsübernahme fordern und fördern! Die stolz und selbstbewusst machen. Die die Erfahrung vermitteln, schwierige Situationen und Herausforderungen mit eigener Anstrengung meistern zu können.“


„Etwas für andere tun, Verantwortung übernehmen, stolz sein können – all das fördert eine zufriedene Persönlichkeit. Das gilt für Flüchtlinge und für Kinder genauso wie für alle anderen Menschen auch.“, fasst Peter unser Gespräch gut zusammen. „Man muss eben nur vom Ende her denken!“

„Schreibst Du noch mehr Artikel?“ Mein Nicken macht Peter neugierig: „Um was wird es als nächstes gehen?“ „Über Deine schöne Formulierung: Vom Ende her denken. Ich lese nämlich gerade das Buch „Darm mit Charme“. „Aha, schönes Thema: Was hinten dabei herauskommt.“, verabschiedet sich mein Freund mit sprachspielerischem Schalk.

Beate Allmenröder



Kommentar schreiben

Kommentare: 0