8. Vom großen Erzähler Peter Kurzeck - oder: Wie ein gutes Gespräch entsteht

„Mit Carina die Bockenheimer Landstraße und dann durch die Leipziger Straße. Lang. Und müssen einander wie immer den Tag, den heutigen Tag erzählen. Jeder seinen, er wäre sonst nicht gewesen, der Tag. Und wir auch nicht.“


Sich des Lebens vergewissern, indem wir es erzählen: es begreifen, reflektieren, verstehen. Erinnern, wiederholen, durcharbeiten. Darin war Peter Kurzeck, im Herbst 2013 zu früh gestorben, der große Meister. Wir trauerten alle, die er mit seinen Staufenberger, Gießener und anderen Geschichten in seinen Bann geschlagen hatte, wie um einen guten Freund. Weil es sich anfühlt, als kennten wir ihn persönlich, da er uns mit seinem weisen und leisen Humor in seinen Erzählungen so intensiv an seinem Leben teilhaben ließ.

„Und müssen einander wie immer den Tag, den heutigen Tag erzählen. Jeder seinen, er wäre sonst nicht gewesen, der Tag. Und wir auch nicht.“ (Foto: M. Ihle)


Die obigen Sätze sind ein Zitat aus „Ein Kirschkern im März“. Peter Kurzeck ist auf dem Heimweg vom Kinderladen mit seiner kleinen Tochter Carina. Sie erzählt von ihrer Pizza, redet sie herbei, auf die sie „alleinst alles draufgelegt“ hatte.


Kinder sind Meister des Erzählens. Oft unentdeckt. Denn es gibt den Stress im Alltag der Eltern - und manchmal auch in dem der Kinder. Dann ist die Zeit knapp, keine Ruhe zum Zuhören. Es gibt Verpflichtungen und gegensätzliche Interessen, dazu den PC und die (vielleicht gar nicht so) sozialen Netzwerke…. Dann ist es in vielen Familien irgendwann so, dass man einander nicht mehr viel erzählt. „Wie war es in der Schule?“. „Gut“. Manche Eltern sind enttäuscht, dass die Kinder so wenig erzählen, manche sind auch froh, dass sie nicht zuhören müssen.

Kürzlich traf ich einen Mitarbeiter einer Beratungsstelle: er erzählte mir, dass er und seine Frau – als die Kinder klein waren – die Spülmaschine abgeschafft hätten, weil sie gemerkt hatten, dass beim gemeinsamen Abspülen die intensivsten Gespräche entstehen. Dann berichtete er, wie viele junge Erwachsene und deren Eltern zu ihm kämen, seinen Rat suchten, weil sie den Schritt ins Leben nicht schaffen. Die psychisch erkrankten. Bei denen eine Sucht das Leben beeinträchtige... Er erzählte von der Verzweiflung. „Wieso wir so ein Glück mit unseren Kindern gehabt haben, dass wir solche Probleme gar nicht kennen, weiß ich auch nicht“, sagte er. Ob es auch mit der abgeschafften Spülmaschine zu tun hat?


Und wie es der Zufall will, las ich einen Tag später in Tom Hodgkinsons „Leitfaden für faule Eltern“: „Mir wäre es am liebsten, wenn die Kinder überhaupt keinen Unterschied zwischen Arbeit und Spiel wahrnähmen. Stellen Sie sich vor, sie hätten beim Abwasch genauso viel Spaß wie im Kino! Möglich ist das. … All das nahm seinen Anfang, als – o glücklicher Tag! – die Spülmaschine den Geist aufgab. Schon viele Jahre hatte ich gegen den hässlichen, brummenden Energieschlucker angewettert. Die Spülmaschine macht der Vorstellung von der Familie, die in trauter Eintracht den Abwasch erledigt, den Garaus….“ (Berlin 2009, S.208)


Dass die Küche immer ein Ort für gute Gespräche ist, kennen wir von Festen: während es im festlich vorbereiteten Wohnzimmer manchmal eher öde zugeht, ist es in der Küche höchst lebendig. Zum Glück ist es für den lebendigen und erzählintensiven Familienalltag nicht nötig, immerzu Feste zu veranstalten. Die normale Alltagsküchenarbeit tut es auch: Dass ich die Frage: „Wie war es in der Schule“ gar nicht mehr zu stellen brauche und trotzdem viel erfahre, ist mir allmählich deutlich geworden, nachdem es bei uns zur Selbstverständlichkeit geworden war, dass in der Küche auch die Kinder arbeiten. Waren sie es erst einmal geübt, Kartoffeln zu schälen, Zwiebeln und Möhren zu schneiden, wurde jede ruhige Arbeit zur guten Gelegenheit, von den Freuden und Sorgen, von den Gedanken meiner Söhne zu erfahren.


Und wenn sie manchmal nicht gleich „rausrücken“ mochten, bewährte sich der Rat einer alten Nachbarin: „Auch ihr Eltern müsst von Euch erzählen!“ Natürlich haben wir das je nach Alter der Kinder gefiltert. Wie Peter Kurzeck schreibt: auch unsere Tage wären ja nicht gewesen, wenn wir sie nicht erzählt hätten. Erst war ich erstaunt, dass es die Kinder tatsächlich interessiert, was ihre Eltern in der Erwachsenenwelt erleben, dann habe ich gemerkt, dass es dazu hilft, dass auch sie sich als Gesprächspartner ernst genommen fühlen. Um dann umso unbefangener auch von sich zu erzählen.

Beate Allmenröder